„Die Kirche fällt zurück auf die Füße des Evangeliums“
Die Kirche ist krank. Sie kämpft ums Überleben. So meinte Kardinal Franz König 1985. Der Franziskaner P. Udo Schmälzle sieht es ganz anders. Die Kirche ist mitten in einem Gesundungsprozess – weil sie die Armen als ihre erste Aufgabe wiederentdeckt.
Vor Caritas-Leuten, Diakonen und Priestern zeigte der Theologe und Soziologe Udo Schmälzle aus Münster am 14. November im Linzer Priesterseminar Perspektiven auf, wie sich Kirche in der heutigen Welt bewähren kann. Niemand im Saal wusste, dass wenige hundert Meter weiter Bischof Ludwig Schwarz gerade sein Domkapitel vom bevorstehenden Bischofswechsel informierte – und dass „Caritas-Bischof“ Manfred Scheuer Bischof von Linz werden wird.
Kirche ist Caritas
Caritas und Kirche müssen als Eines begriffen werden. Genau darum ging es an diesem Samstag im Priesterseminar. Die Pfarren sollen sich mit anderen Organisationen zusammentun, um sich so um die Lebensprobleme der Menschen zu kümmern. Sie haben die Kraft dazu, und Menschen haben in diesem Punkt hohe Erwartungen an die Kirchen. Schmälzle untermauert das: In Regionen im Osten Deutschlands bezeichnen sich 80 Prozent der Menschen als konfessionslos. Von den Kirchen erwarten sie trotzdem viel. Soziales Wirken, also die Caritas, und die Seelsorge gehören für Schmälzle daher eng zusammen.
„Was wir erlebt haben nach dem Konzil ist keine Krankheit, sondern ein Genesungsprozess; die Kirche stellt sich dem Evangelium neu – sie fällt zurück auf die Füße des Evangeliums“, sagt Schmälzle. „Der Weg aus der Krise geht durch die Diakonie, also über die Zuwendung der Kirche zu den Nöten der Menschen“, ist er überzeugt.
Die Versuchung der Frommen
„Bemüht euch um das Wohl der Stadt, in die ich euch weggeführt habe“, zitiert Schmälzle den Propheten Jeremia. Die Bibel, meint er, „kennt von Anfang an die Versuchung von Frommen und Gottesfürchtigen, sich in ihren Gemeinden zu verkriechen und im stillen Kämmerlein das Böse der Welt zu beklagen“. Für Schmälzle aber gibt es nicht das „rein geistliche Geschäft“, das nur aus Sakramentenspendung, Liturgie und Gottesdienst besteht. Statt dessen sollen die christlichen Gemeinden Anwalt der Opfer von Ungerechtigkeit und Gewalt sein – wie es die jungen Kirchengemeinden waren. Die Kirche kann sich auf diese alte Stärken besinnen:
Jedes Kind ist Gottes Kind
Die Christen haben aufgehört mit der damaligen römischen Praxis, dass man Kinder töten durfte. Für sie galt: „Jedes Kind ist Gottes Kind.“ Der einzelne Mensch wurde zum „höchsten Rechtsgut“.
Auch Frauen hatten bei den Christinnen und Christen die volle Menschenwürde – und waren nicht bloß Objekte, über die Männer beliebig verfügen konnten. Die Christengemeinden haben sich außerdem darum gekümmert, dass niemand verhungert und dass die Kranken gepflegt werden. Das hat die Kirche aus den Katakomben geholt, ist P. Schmälzle überzeugt.
Option für die Armen
„Die Bereitschaft zur Begegnung mit den Armen öffnet den Weg zur Gottesbegegnung“, sagt Schmälzle. Das ist die Bekehrung der Kirche zum Evangelium. Das Konzil hat vor 50 Jahren diesen Wandel eingeleitet. Papst Franziskus bekräftigt ihn. „Er macht klar, welche Bedeutung der Arme hat.“
Jesus verpflichtet die Kirche auf jene, die ohne Hilfe durch Mitmenschen nicht leben können. Das sind Kinder. Das sind Flüchtlinge. Das sind Menschen mit Beeinträchtigungen, Arme in vielfacher Form.
P. Udo Schmälzle benennt auch, was diese „Umkehr“ heute bedeutet. An Seelsorger stellt er die Fragen: Wer hat ein Recht auf deine Kraft? Wer hat ein Recht auf deine Zeit? Jene, die nicht alleine leben können, sollen die erste Adresse sein. Um Fragen der innerkirchlichen Organisation können sich auch andere kümmern.
Und: Er plädiert für ein Bündnis mit den zivilen Einrichtungen, denn: „Im Netzwerk sind wir stark.“