Bettler sind in den letzten Jahren in Österreichs großen Städten immer häufiger anzutreffen. Ihre Anwesenheit hat zu zahlreichen kontroversen Diskussionen geführt. Doch auch wenn man ihnen etwas spenden will, stellt sich die Frage: Wird den Menschen so auf gerechte Art geholfen?
Ausgabe: 2015/22, Bettler, betteln
26.05.2015
Fallbeispiel: Auf dem Weg in die Arbeit komme ich täglich an mindestens drei Bettlern vorbei, die am Straßenrand sitzen. Allen Kritiken und Vorbehalten zum Trotz bin ich ab und an geneigt, etwas Geld zu geben. Nur: Gerecht lässt sich das wohl nicht machen, weil es letztlich Zufall ist, wer da etwas bekommt. Ist es besser, eine Organisation zu unterstützen, die sich um Bettler kümmert?
Antwort: Unter Gerechtigkeitsaspekten ist es tatsächlich besser, sein Geld professionellen, vertrauenswürdigen Hilfsorganisationen zu geben. Die können die wirklich Hilfsbedürftigen besser erkennen, ihnen gezielter helfen und den Missbrauch spontaner Empathie weitgehend vermeiden. Zudem bekommt dann jeder Hilfsbedürftige so viel, wie er braucht, aber auch nicht mehr als das. Gleichwohl macht es auch Sinn, bettelnden Menschen, denen man begegnet, etwas direkt zu geben. Sie suchen ja gezielt den unmittelbaren Kontakt zu Menschen, und oft geht es ihnen um weit mehr als nur ein wenig Geld. Sie wollen angesehen werden, ins Gespräch kommen, wenn auch nur kurz, und die Menschlichkeit derer spüren, die etwas geben.
Der Mensch ist ein Gefühlswesen
Auch der Geber verspürt beim direkten Geben von zwei Euro meist ein viel besseres Gefühl als wenn er 50 Euro an die Caritas überweist. Das sollte man nicht unterschätzen, denn wir sind Gefühlswesen. Also: Das eine tun und das andere nicht lassen! Wie aber entscheiden wir, welchem von vielen Bettlern wir eine Geldspende geben und welchem nicht? Hier gilt die klassische Frage: Welcher steht mir am nächsten? Räumlich, weil er sich in der Nähe meiner Wohnung oder meines Büros aufhält. Emotional, weil er mir sympathisch vorkommt oder weil ich ihn für besonders hilfsbedürftig halte. Oder menschlich, weil ich ihn schon seit Jahren kenne. Wenn jeder nur seinem nächsten Bettler ab und zu etwas gibt, darf er darauf vertrauen, dass allen geholfen wird. Denn jeder Bettler hat Nächste, die genau ihm helfen können.
Ethik im Alltag
Eine Serie mit Michael Rosenberger Universitätsprofessor für Moraltheologie an der Kath.-Theol. Privatuniversität Linz Teil 4 von 5