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„Gegeben zu Wien am 15. Mai 1955“: So lautet die Datumsbezeichnung im Staatsvertrag, den vor 70 Jahren die Vertreter der vier Besatzungsmächte und der österreichischen Bundesregierung im Schloss Belvedere unterzeichnet haben. Der 15. Mai hat sich als das wohl bekannteste Datum in das österreichische Geschichtsbewusstsein eingeprägt.
Verträge können brüchig werden. Sie werden aufgekündigt, infrage gestellt. Die politischen Irritationen der Gegenwart führen das beklemmend vor Augen. Die „Tragkraft“ von Vereinbarungen hängt nicht nur vom Willen jener ab, die sie seinerzeit geschlossen haben. Ihre verbindliche Kraft muss zu jeder Zeit neu geleistet werden.
Es gilt auch unter Volksgemeinschaften und Staaten, was für tragfähige Beziehungen unter Menschen allgemein gilt: Ohne gegenseitiges Verantwortungsgefühl ist kein Miteinander möglich. Es braucht ein empfindsames Gewissen, es braucht Anstand. Es braucht den Willen, zum Wohl auch der anderen Seite zu denken und zu handeln. Wo nur berechnend nach dem eigenen Vorteil geschielt wird, zerbrechen Verhältnisse.
„Einer trage des anderen Last.“ Für Paulus ist dies das „Gesetz Christi“, also die Grundregel des Christlichen (Gal 6,2). Es gilt wohl nicht nur für das private persönliche Leben. Die wahre Größe einer Nation besteht nicht im Einfluss, den sie zu ihrem eigenen Nutzen erreicht, sondern zeigt sich im Ausmaß, in dem sie sich auch für andere verantwortlich weiß.
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