„Wir haben Besuch!“, ruft Eva Hintersteininger und legt ihre Hand sachte auf den Arm ihres Bruders. Franz Hintersteininger hebt langsam den Kopf und lächelt. „Er leidet darunter, dass er nicht reden kann“, sagt seine Schwester. Sie nickt ihm aufmunternd zu. Dann holt sie Kaffee und süß duftenden Strudel aus der Küche und setzt sich zu ihrem Bruder an den Tisch. Darauf liegt ein Rosenkranz mit bunten Perlen – und ein schmales Buch. Eva Hintersteininger hat es geschrieben. Sie erzählt darin, was es bedeutet, seit mehr als dreißig Jahren pflegende Angehörige zu sein.
Vater Franz war sechzig, als er einen Herzinfarkt erlitt. Dazu kamen eine Diabeteserkrankung und Demenz. Zehn Jahre lang musste er rund um die Uhr betreut werden. Der Vater, früher wegen seiner Zornausbrüche gefürchtet, wurde zu einem liebenswerten „Väterchen“, schreibt Eva Hintersteininger. Dann wurde bei ihrer Mutter Cäcilia Morbus Parkinson festgestellt, eine langsam fortschreitende Erkankung von Nervensystem und Gehirn. In den letzten Jahren ihres Lebens musste sie durch eine Magensonde ernährt werden. Zum Ende hin lag sie im Koma. Auch da nahm Eva Hintersteininger die „so gute und liebevolle Ausstrahlung“ der Mutter wahr. Im selben Haus lebte Tante Maria, genannt „Mitzitante“. Sie war erblindet, aber sie schaffte es bis ins hohe Alter, ihren Haushalt fast allein zu führen. Eva Hintersteininger unterrichtete noch Religion an zwei Schulen. Die Pflege ihrer Tante übernahm sie trotzdem. Auch der ältere Bruder Franz braucht bis heute ihre Unterstützung. Seit einer Gehirnhautentzündung im Säuglingsalter ist er mehrfach beeinträchtigt. Eva Hintersteininger schätzt sein „liebenswürdiges Wesen“. Einmal sprach sie ihn auf seine zerzausten Haare an. Seine Antwort wurde der Titel ihres Buches: „Vielleicht sind Engel auch zrupft“.
„Manchmal hatte ich den Eindruck, ich bin an beiden Füßen angebunden“, sagt Eva Hintersteininger. Auch nur einen der ihr anvertrauten Menschen in einem Pflegeheim unterzubringen, kam für sie nicht in Frage. Sie wurde von Familienmitgliedern, Freundinnen und vom Mobilen Pflegedienst der Caritas unterstützt und schöpfte kurzzeitig Kraft auf Veranstaltungen für pflegende Angehörige. Doch sie trug die Hauptlast. Das zehrte an den Nerven. Eva Hintersteininger zweifelte an der Sinnhaftigkeit ihres Lebens. Sie als jüngste, unverheiratete Tochter musste auf so vieles verzichten. Warum? Die Antwort fand sie in ihrem Glauben. Auch wenn sie manchmal damit hadert: Der Sinn ihres Lebens liegt in Gott. Das möchte sie mit ihrem Buch vermitteln, aber auch, dass offen über das Pflegen gesprochen wird. „Die Sterbehilfe ist nur deshalb ein Thema, weil es an Mitmenschen fehlt, die einen bis zum Schluss begleiten“, sagt Eva Hintersteininger. Sie will die vergangenen dreißig Jahre nicht verklären. Dafür waren sie zu herausfordernd. Aber sie empfindet es letztendlich als bereichernd, einen pflegebedürftigen Menschen zu begleiten, bis zum letzten Atemzug.
Eva Hintersteininger nimmt die bunte Perlenkette zur Hand. Jetzt ist Zeit, den Rosenkranz zu beten. „Nach meiner Erfahrung tut das meinem Bruder gut. Es gibt dem Tag eine Struktur und weitet den Blick auf das Leben mit Gott.“ Die Geschwister beten, die eine mit klarer Stimme, der andere mit rhythmischen Lauten. Dann kehrt Ruhe ein in der gemütlichen Stube.«
Das Buch „Vielleicht sind Engel auch zrupft“ ist bei der Autorin erhältlich: Tel. 07263 88 330, andreas.hunger@gmx.at
Allein in Oberösterreich pflegen 65.000 Menschen tagtäglich ihre Angehörigen. Manche „Pflegekarrieren“ dauern länger, weil eine Person mehrere Angehörige nacheinander pflegt. „Wir wollen sie ermutigen, Hilfe in Anspruch zu nehmen“, sagt Marlene Mayr von der Caritas-Servicestelle für pflegende Angehörige.
Pflegene Angehörige leisten viel. Dabei vergessen sie oft, auf ihre eigenen Bedürfnisse zu schauen. „Das liegt an der späten Wahrnehmung“, sagt Marlene Mayr. Denn es dauert oft eine Weile, bis die Betroffenen erkennen, dass sie bereits pflegende Angehörige sind. Sie waschen die Wäsche, besorgen den Einkauf und begleiten die Eltern zum Arzt. Das ist nicht mehr nur Teil einer Beziehung, sondern aufwändige Arbeit. Wer das erkennt, ist eher bereit, sich Rat und Unterstützung zu holen.
Die Caritas-Servicestellen bieten psychosoziale Beratung in Linz, Steyr, Grieskirchen, Rohrbach-Berg und Vöcklabruck an. Die Erfahrung zeigt: Pflegende Angehörige melden sich, wenn sie die eigene Überforderung nicht mehr leugnen können. Viele erfahren Erleichterung, weil ihnen jemand zuhört. Andere bitten um Information über Unterstützung für die zu Pflegenden. Oft geht es dabei eigentlich um Hilfe für die pflegenden Angehörigen selbst. Für sie bietet die Caritas Erholungstage. Hier wird in der Gruppe erzählt, gelacht und getrauert. „Denn der Abbau bei den zu Pflegenden ist immer wieder ein kleiner Abschied, den die Angehörigen aushalten müssen“, sagt Marlene Mayr. In den PAULA-Kursen erfahren pflegende Angehörige mehr über Demenz. Das Wissen hilft, Konflikte im Pflegealltag zu entschärfen.
Marlene Mayr will Angehörigen Mut machen, sich zu überlegen, was sie in der Pflege leisten können und wollen. Auch deshalb, weil sich die Dauer der Pflege nicht vorhersagen lässt. Für sich selbst gut zu sorgen, unterstützt auch die psychische Gesundheit. „Pflegende geben alles“, sagt Marlene Mayr. Als Stütze der Gesellschaft sollten sie mehr wertgeschätzt werden.«
Info über Erholungstage, die Kursreihe PAULA und Beratung: Tel. 0676 87 76 24 40, www.pflegende-angehoerige.or.at; Alltagstipps zum Umgang mit Demenz: www.pflegeinfo-ooe.at
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