„Ich habe den Eindruck, dass, wenn über Armut debattiert wird, das Hintergründige, die Werthaltungen und ethische Fragen zu kurz kommen“, sagt Martin Schenk über seine Motivation, das Buch „Brot und Rosen“ zu schreiben.
Der Sozialexperte der Diakonie und Mitbegründer der Armutskonferenz lässt darin Armutsbetroffene zu Wort kommen, spricht über Scham und Schuldzuweisung, Auswirkungen unterschiedlicher Sozialpolitik-Modelle sowie „Lebens-Mittel“, die für den Menschen neben Obdach, Nahrung und Kleidung (über-)lebensnotwendig sind.
Beispielsweise geht es um die weit verbreitete Meinung, dass Menschen, die von Armut betroffen sind, selbst schuld an ihrer Situation seien. Es herrsche das Dogma „Jeder schafft es, wenn er nur will“.
Das Beispiel der „Working Poor“ (Personen, die trotz Erwerbstätigkeit von Armut bedroht sind) zeigt, dass dieses Konzept in der Realität nicht unbedingt funktioniert. Oftmals bekommen die Betroffenen vom Umfeld vermittelt, aufgrund ihrer Armut kein Recht auf Dinge wie einen Tag im Freibad oder einen Konzertbesuch zu haben.
Martin Schenk ist Mitinitiator zahlreicher sozialer Initiativen, zum Beispiel des Kulturpasses: Damit bekommen finanziell benachteiligte Menschen freien Eintritt in viele kulturelle Einrichtungen. Er sagt dazu: „Als wir den Kulturpass erfunden haben, wurden wir gefragt, warum Menschen, die eh nichts haben, einen Theaterbesuch oder Kino brauchen. Da gehe es doch um Wohnung, Job und Einkommen. Natürlich braucht es das, aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Er braucht auch Wertschätzung, Austausch, Erholung, Musik, Kunst und so weiter.“
Dies „zusammenzudenken und den Menschen als Ganzes zu sehen“, hält Schenk für sehr wichtig, und da „unterscheidet sich auch gute von schlechter sozialer Politik“. Oft werde ein autoritärer Pfad gewählt und nicht die Missstände bekämpft, sondern die Menschen, die darunter leben und leiden.
Österreich stehe als Sozialstaat zwar nicht schlecht da, eine der Aufgaben von Diakonie und ähnlichen Organisationen sei es dennoch, in die Lücken des sozialen Netzes zu springen bzw. auf diese hinzuweisen.
Hinsichtlich geeigneter Maßnahmen gegen Armut meint Martin Schenk: „Für einen wirksamen sozialen Ausgleich braucht es sowohl Sozialleistungen für die Ärmeren als auch universelle, armutspräventive Leistungen.“
So tappt man auch nicht in die „Treffsicherheitsfalle“, denn Länder, die ihre Sozialleistungen nur auf die Armutsbetroffenen konzentrieren, gehören zu den Ländern mit der höchsten Armut. Dieses „Paradoxon der Verteilung“ wurde etwa in einer OECD-Studie nachgewiesen, auf welche Martin Schenk in seinem Buch verweist.
Wie die Armutskonferenz in einer Aussendung bekannt gibt, reduziert sich die Armutsgefährdung durch einen starken Sozialstaat von 42 auf 14,9 Prozent. Am stärksten würden dabei Arbeitslosengeld, Notstand- und Mindestsicherung sowie die Wohnbeihilfe wirken. Die ersten drei sollten deshalb valorisiert und erhöht werden, sowie die Ende 2024 auslaufende Stromkostenbremse in eine Energiegrundsicherung umgewandelt werden, sagt Martin Schenk.
Dringend notwendig sei auch eine „Reform der schlechten Sozialhilfe“. Aufhol- und Handlungsbedarf ortet Schenk nicht zuletzt im Bereich Gesundheit: „Es gibt immer noch zu wenig kassenfinanzierte Plätze für psychische Erkrankungen, besonders für Kinder und Jugendliche.“
Apropos Kinder: Für den qualitativen Ausbau von Elementarpädagogik und Kindergärten schlägt die Armutskonferenz die „flächendeckende Einführung eines Chancen-Index für sozial benachteiligte Schulstandorte“ vor.
Martin Schenk
ist Sozialexperte der Diakonie, Mitbegründer der Armutskonferenz und Psychologe. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen soziale Sicherung, Gesundheit, Kinder- und Jugendhilfe und Bildung. Er ist Mitinitiator und Mitarbeiter zahlreicher sozialer Initiativen, schreibt für die Straßenzeitung Augustin und ist Lehrbeauftragter an der Fachhochschule Campus Wien.
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