Was vor wenigen Monaten noch kaum jemand für notwendig hielt, daran führt offenbar kein Weg vorbei. Die Regierung hat ihren Gesetzesentwurf zur Impfpflicht gegen Covid-19 präsentiert, ab dem Frühjahr 2022 soll es Verwaltungsstrafen für nicht Geimpfte geben.
Auch vor der Ankündigung einer allgemeinen Impfpflicht war das Thema Covid-Impfung umfehdet. Quer durch Familien und Freundeskreise verliefen manchmal Gräben zwischen denen, die sich über die Errungenschaft der Covid-Impfstoffe und die Gratis-Impfmöglichkeit freuten und sie gerne in Anspruch nahmen, und denen, die den Impfungen aus welchen Gründen auch immer skeptisch bis abwartend gegenüberstanden.
Drei Viertel der impfbaren Bevölkerung waren Anfang Dezember zumindest einmal geimpft. Am Nikolaustag begannen jedoch die ersten Impfzertifikate ihre Gültigkeit zu verlieren, wodurch auch die Durchimpfungsrate wieder sank.
Und während viele zur Auffrischung aufbrechen, um ihren Impfschutz zu erhöhen, sind manche noch nicht von der Wirksamkeit überzeugt oder lehnen die zur Verfügung stehenden Impfstoffe aus anderen Gründen ab.
Die Gruppe der absoluten Impfgegner/innen sei relativ klein, sagt die Politikwissenschaftlerin Barbara Preinsack von der Universität Wien. Sie ist im Leitungsteam des „Austrian Corona Panel Projects“, einer seit März 2020 laufenden Studie, die die Entwicklung von Meinungen, Einstellungen und Stimmungen während der Pandemie untersucht. Andere Menschen hätten etwa Angst vor Nebenwirkungen oder würden aus Ärger über die Regierung nicht zur Covid-Impfung gehen.
Zur Entlastung der Krankenhäuser bräuchte es jedoch eine deutliche Steigerung der Impfquote, und die ist derzeit nicht in Sicht. Der Moraltheologe der Katholischen Privat-Universität Linz, Michael Rosenberger, sieht die geplante Impfpflicht „unter diesen Umständen ethisch nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten“.
Er erinnert daran, „dass das Verhalten jedes und jeder Einzelnen über Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod vieler anderer mitentscheidet.“ Im Blick auf die Überlastung, Erschöpfung und Verzweiflung des Personals vieler Intensiv- und Covid-Normalstationen und auf die „vielen Menschen, deren Operationen jetzt verschoben werden müssen, um Covid-Patient/innen Platz zu machen“, ist die klare Botschaft des Moraltheologen: „So kann und darf es nicht weitergehen.“
Neben Abstandhalten, Masketragen und Kontaktreduktion seien Impfungen und Lockdowns die mit Abstand stärksten Schutzmaßnahmen zur Reduzierung des Infektionsrisikos. „Ständig neue Lockdowns sind ein wesentlich härterer und massiverer Eingriff in die Freiheitsrechte der Menschen als eine Impfpflicht. Der Staat muss hier das geringere Übel wählen“, so Rosenbergers Plädoyer. Ebenso wichtig wäre aber aufklären und werben um Vertrauen in die Impfung. „Wenn jene Menschen, die sich der Impfpflicht nur widerwillig beugen, nicht dauerhaft ihr Vertrauen in Staat und Gesellschaft verlieren sollen, sind wir alle gefordert, ihnen Mut zu machen.“
Zu diesem „Wir“ gehörten neben Politik und Medizin auch Kirchen und Nichtregierungsorganisationen. Michael Rosenbergers Hoffnung: „Wenn (fast) alle geimpft sind und damit wieder derselben Gruppe angehören, können wir die momentane Spaltung der Gesellschaft leichter überwinden.“
Politikwissenschaftlerin Barbara Preinsack erwartet eine gegenteilige Entwicklung, angefeuert auch durch die Ankündigung der Impfpflicht. Gegenüber der „Wiener Zeitung“ erklärte sie: „Ich vermute, dass sich die impfskeptischen Gruppen noch mehr in Richtung absolutes Nein bewegen, umgekehrt aber auch die Gruppe der Befürworter einer Impfpflicht wächst, es also zu einer beidseitigen Verhärtung der Positionen gekommen ist.“
Ob dem so ist, befindet sich gerade in sozialwissenschaftlicher Untersuchung. Preinsack befürchtet, dass die allgemeine Impfpflicht „nicht unbedingt das Politikinstrument der Wahl ist, wenn man eine hohe Impfrate erreichen möchte.“ Kein Politikinstrument sei zu 100% effektiv, „und alle Instrumente haben auch unerwünschte Konsequenzen.“ Die Impfpflicht könnte eine Art Trotzreaktion auslösen, die Politikwissenschaftlerin nennt das „eine Reaktanz, dass also zögerliche Personen von der Impfung abgeschreckt werden“.
Überzeugte Impfgegner/innen würde man mit einer Impfpflicht nicht erreichen, so Preinsack, außer man würde diese sehr streng gestalten. „Wenn man es aber nicht so streng ausgestaltet, erhält man Effektivitätsverluste, da man mit der Impfpflicht auch Menschen abhält.“
Barbara Preinsack sieht ebenso wie Michael Rosenberger das Problem, dass die Gesellschaft mit freiwilligen Mitteln keine ausreichend hohe Impfrate erreicht habe, obwohl es „mittlerweile die am besten erforschte Impfung weltweit ist“ und das Risiko der Covid-Infektion jenes der Impfung überwiege. Als Ausweg aus der Pattsituation würde Preinsack eine Beratungspflicht vorschlagen. „Dass also alle Ungeimpften zu einer Beratung, abseits ihrer Hausärzte, kommen müssen.“ Den Impfstoff solle man frei wählen können.
Vor „noch mehr Entfremdung zwischen politischen Eliten und den Menschen, die noch nicht geimpft sind“, warnte der Sozialforscher Christoph Hofinger vom SORA-Institut gegenüber ORF.at. Auch er sieht die Gefahr des Trotzverhaltens bei Impfpflicht. Die Politik solle Menschen nicht „in moralisch gut Handelnde und moralisch schlecht Handelnde“ unterteilen. Es brauche im Gegenteil ein starkes Wir-Bewusstsein. Noch nicht Geimpfte sollten nicht indirekt gedrängt werden, eine starke gemeinsame Identität aufzubauen. „Der Schritt von meiner Identität als Ungeimpfter zu meiner Identität als Geimpfter darf nicht als enorm groß empfunden werden, sondern als pragmatische Entscheidung“, empfiehlt Hofinger. Neue Impfstoffe könnten eine gute Rolle spielen, da sie Skeptiker/innen ermöglichen, sich ohne „Gesichtsverlust“ impfen zu lassen.
Einer repräsentativen Umfrage des Gallup-Instituts zufolge gewinnt die Impfpflicht stetig an Zustimmung. Ende November waren es bereits 55%, während im Juli nur 24% dieser Maßnahme zugestimmt hätten. Einem Lockdown für Ungeimpfte stimmen gar zwei Drittel der Befragten zu. „Die geimpfte Mehrheit möchte die Freiheiten zurück, um derentwillen sie sich immunisieren hat lassen“, kommentiert Andrea Fronaschütz vom Gallup-Institut die Ergebnisse.
Die Hälfte der Bevölkerung stimmt laut Gallup-Umfrage zu, dass Personen, die sich gegen Covid nicht impfen lassen wollen, einen Selbstbehalt bei Spitalsbehandlungen bezahlen sollten, 42% sprechen sich dagegen aus. ÖVP-Sympathisanten stimmen diesem Vorschlag am meisten zu (76%), auch SPÖ-, Grün- und NEOS-Anhänger/innen unterstützen das mit über 60%. FPÖ-Sympathisanten sind jedoch mit 75% klar dagegen. Impfskeptiker oder -gegner/innen sind nur zu 4% bereit, einen Selbstbehalt für Spitalsbehandlungen im Fall einer Corona-Erkrankung zu bezahlen. Sie sind darüber hinaus zu 66% der Meinung, dass man zuerst auf sich selbst schauen muss und vertrauen nur in sehr geringem Maß der Wissenschaft.
Der Schlingerkurs um die Corona-Maßnahmen der letzten Wochen hat das Vertrauen in das Krisenmanagement der Bundesregierung weiter geschwächt. Hatten im März 2020 85% sehr großes oder großes Vertrauen, sind es aktuell noch 19%. Aus der aktuellen Gallup-Umfrage geht außerdem hervor, dass alle Parteien weit unter ihren Zustimmungswerten vom Frühling 2020 liegen. «
Aktuell
Die Covid-Impfung sei ein Ausdruck der „Sorge um das Gemeinwohl“ und werde daher seitens der Kirchen und Religionsgemeinschaften dringend empfohlen: Das hat der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, Erzbischof Franz Lackner, nach dem Impfgipfel am 3. Dezember im Wiener Bundeskanzleramt betont. Von den Kirchen und Religionsgemeinschaften sei ausdrücklich „nicht erwartet worden, dass wir für eine Impfpflicht eintreten – aber dass wir dafür eintreten, wie wichtig das Impfen aus Sicht des Gemeinwohls ist“, so Lackner, der mit dem Appell schloss: „Bitte, lasst euch impfen!“
Eingeladen hatten zum Gespräch über das Impfen Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein sowie Familien- und Kultusministerin Susanne Raab. Am Gespräch im Bundeskanzleramt nahm seitens der katholischen Kirche neben Erzbischof Lackner auch Bischofskonferenz-Generalsekretär Peter Schipka teil. Die Evangelische Kirche war durch Bischof Michael Chalupka vertreten.
Tipp
Covid-Impfung zwischen Selbstbestimmung und Solidarität. Online-Vortrag mit Universitätsprofessor DDr. Matthias Beck, 10. Dezember, 16.00–17.30 Uhr. Begrenzte Teilnehmerzahl, Euro 14,–. Anmeldung auf
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