Die „Interessengemeinschaft Autorinnen Autoren“ hat eine Debatte über die Landeshymnen von Ober- und Niederösterreich, Kärnten und Salzburg losgetreten. Im Wesentlichen geht es meist um die Verfasser:innen der Texte, die historisch belastet sind.
Die Lösungsvorschläge sind unterschiedlich. In Kärnten solle laut der IG nur die vierte, nachträglich gedichtete Strophe weggelassen werden: Der Text stammt von der späteren Nationalsozialistin Agnes Millonig (1884–1962), die über den „Kärntner Abwehrkampf“ gedichteten Verse sind problematisch („wo man mit Blut die Grenze schrieb“).
In Salzburg brauche es eine völlig neue Hymne, weil Dichter und Komponist belastet sind – der eine durch Kriegsverherrlichung, der andere als Nationalsozialist. Letzteres gelte auch für den Dichter der niederösterreichischen Hymne, heißt es aus der „Interessengemeinschaft Autorinnen Autoren“ in ihrer Kritik. Auf politisches Gehör stieß sie damit aber nicht.
In Oberösterreich ist die Debatte um die Landeshymne keineswegs neu: Dass von Franz Stelzhamer (1802–1874) aus seinem „Bunten Buch“ von 1852 ein auch für die damalige Zeit scharfer Antisemitismus überliefert ist, ist seit Langem bekannt. Vor allem der Autor Ludwig Laher hat immer wieder darauf hingewiesen.
Eine Publikation des Stifterhauses aus dem Jahr 2014 („Der Fall Stelzhamer“) hat die Frage aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet und Antisemitismus auch in anderen Texten Stelzhamers aufgezeigt.
Erwähnenswert ist, dass die Musik der Hymne von Hans Schnopfhagen (1845–1908) ursprünglich für ein anderes Stelzhamer-Gedicht geschrieben wurde: „Dá gehát Schuestá“. In diesem wird die antijüdische Legende vom „Ewigen Juden“ Ahasver aufgegriffen, wonach dieser Jesus beim Gang nach Golgota einen Ruheplatz verweigert habe und zur rastlosen Wanderung durch die Zeit verflucht worden sei.
Nur nebenbei bemerkt, taugt Stelzhamer auch sonst nicht zum Vorbild, worauf ebenfalls Ludwig Laher hingewiesen hat: Stets verschuldet, war er ein Lebemann, dessen Familie Not litt, während er sich von Gönnern (auch von jüdischen Mäzenen) aushalten ließ.
Andererseits hat der „Hoamatgsang“ Pluspunkte, die man auch erwähnen muss: Als einzige österreichische Landeshymne ist er in Mundart geschrieben. Der Text der drei Strophen grenzt niemanden aus, er ist ausgesprochen positiv und stellenweise zärtlich. Der Vorwurf, in den Worten „wiar a Kinderl sein Muader, a Hünderl sein Herrn“ zeige sich eine Untertanenmentalität, erscheint etwas überkritisch. Kurz gefasst ist das Problem also, dass Oberösterreich einen an sich guten Hymnentext von einem belasteten Dichter hat.
Aber was soll eine Hymne überhaupt erreichen? Sie ist Symbol eines Landes oder eines Staates und hat damit identitätsstiftende und einigende Funktion. Das gemeinsame Singen der Hymne soll verbinden.
Indem Hymnen aber eben auch eine politische Bedeutung haben, können sie politisch unpassend werden: Die Hymne der DDR wurde ab 1971 nur noch instrumental gespielt, weil im Text von Johannes R. Becher (1891–1958) „Deutschland, einig Vaterland“ vorkam – also eine Wiedervereinigung, welche die DDR-Führung so politisch nicht mehr wollte.
Politisch interessant ist die Entwicklung in Russland: Die alte Hymne der Sowjetunion hatte mit deren Auflösung Ende 1991 ausgedient. In der Russischen Föderation galt nun das „Patriotische Lied“ als Hymne. Aber schon bald nach dem Präsidentenwechsel von Boris Jelzin zu Wladimir Putin kehrte Letzterer zur Melodie der Sowjethymne zurück. Zwar wurde ein neuer Text geschrieben, jedoch vom selben Dichter, der die Sowjethymne getextet hatte: Sergei Michalkow (1913–2009). Damit passt der erneute Hymnenwechsel in die Politik Putins, am Weltmachtsanspruch der Sowjetunion anschließen zu wollen.
Die deutsche Bundeshymne besteht aus der Musik Haydns für die alte österreichische Kaiserhymne und der dritten Strophe aus dem „Lied der Deutschen“ von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798–1874). Die erste Strophe („Deutschland, Deutschland, über alles“) ist durch die NS-Diktatur bebelastet. Die zweite Strophe besingt „deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang“, was nach Trinklied klingt. Also einigten sich Bundeskanzler Konrad Adenauer und Bundespräsident Theodor Heuss 1952 auf die dritte Strophe, die unverfänglich „Einigkeit und Recht und Freiheit“ preist.
In Frankreich ist die „Marseillaise“ fester Bestandteil der republikanischen Zivilreligion. Sie enstammt dem Krieg der europäischen Staaten gegen das revolutionäre Frankreich. Schon in der ersten Strophe ist davon die Rede, dass die fremden Soldaten den Söhnen und Gefährtinnen der Franzosen „die Kehle durchschneiden“ („égorger vos fils, vos compagnes“). Im Refrain heißt es, dass „unreines Blut unsere Ackerfurchen tränken“ solle („qu’un sang impur abreuve nos sillons“). Über diesen Text wurde in Frankreich diskutiert. Der Schauspieler Lambert Wilson nannte ihn „entsetzlich, blutrünstig, aus einer anderen Zeit, rassistisch und fremdenfeindlich“. Für andere ist die Marseillaise dagegen unantastbar.
Eine Hymne hat auch der Staat der Vatikanstadt in Rom. Dabei handelt es sich eigentlich um eine Hymne auf den Papst. Sie erhielt 1993 einen weiteren lateinischen Text („O felix Roma“). Dieser ist eine Aneinanderreihung von Papsttiteln. Er passte damals zum innerkirchlichen Machtanspruch von Papst Johannes Paul II.
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