Über Damaskus fliegen im Minutentakt russische Kampfjets. Sie bombardieren nur wenige Kilometer entfernt letzte Rückzugsgebiete der Rebellen. Wir hören deutlich das Einschlagen der Bomben. Mit Damaskus selbst hat das aber scheinbar nichts zu tun. Der Verkehr ist chaotisch und laut, die Menschen eilen geschäftig durch die Straßen. Wir sind Gäste des melkitischen griechisch-katholischen Patriarchats, das im Zentrum der Stadt liegt. Der in Österreich wirkende melkitische Priester Hanna Ghoneim fungiert als unser Reiseleiter.
Alle Kirchen im Stadtzentrum, und davon gibt es viele, wurden während des Krieges von den Rebellen mit Granaten beschossen. Die Schule der armenisch-katholischen Kirche, die von mehr als 600 Kindern besucht wird, wurde gleich zwölf Mal getroffen. Mit verheerenden Folgen. Viele Kinder kamen ums Leben, unzählige wurden schwerst verletzt. Als wir den Hof der armenisch-katholischen Kirche verlassen, kommt uns auf der Straße eine Schar junger Mädchen entgegen, laut plaudernd und lachend. Ein Mädchen geht mit Krücken. Die junge Frau hat nur ein Bein. – Eines von viel zu vielen Opfern in diesem grausamen Krieg.
In Homs haben 2011 die Kampfhandlungen in Syrien begonnen. Die folgende Belagerung der Stadt war eines der grausamsten Kapitel dieses Krieges. Im Zentrum befindet sich der Bischofssitz der melkitischen Kirche. Dieser war drei Jahre die Zentrale der Rebellen. Am Ende war alles verwüstet. Im Dach des Bischofshauses steckt immer noch eine Granate.
Slawomir Dadas hat die Gelegenheit zu einem langen Gespräch mit Bischof Jean-Abdo Arbach. Im Prinzip lässt sich die Botschaft des Bischofs auf folgenden Satz zusammenfassen: „Helft uns, damit wir in unserer Heimat bleiben können.“ Und damit meint er etwa Hilfe beim Aufbau kleiner Betriebe. An der Frage der Arbeitsmöglichkeiten wird sich unter anderem die Zukunft der Christen in Homs wie in ganz Syrien entscheiden. Genauso liegt es freilich auch an Wohn- und Bildungsmöglichkeiten.
Eines unserer Ziele in Aleppo ist das Kloster der Franziskaner. Es liegt im Westen der Stadt. Auf dem Weg dorthin fahren wir an Ost-Aleppo vorbei, das komplett in Trümmern liegt. Über Jahre kämpften Rebellen und Regierung erbittert um die Herrschaft über die nordsyrische Metropole.
Im Kloster empfängt uns P. Ibrahim. Er berichtet von gut 50 Projekten, die die Franziskaner betreiben. Die Palette reicht von Nahrungsmittelhilfe über medizinische Unterstützung bis zu Geldspritzen für junge Ehepaare. Besonders bedürftig sind die Kinder, erzählt der Ordensmann. Spezielle Hilfsprogramme gibt es auch für muslimische Kinder.
Wir steigen auf das Dach eines zerstörten Altenheims im Zentrum der Stadt. Vor uns breitet sich eine Ruinenlandschaft aus. Totale Zerstörung. Niemand kann in diesem Winkel der Stadt mehr leben. Doch das ist nur die halbe Wahrheit über Aleppo: Keine 100 Meter weiter finden wir eine andere Stadt vor: pulsierende Geschäftsstraßen, flanierende Menschenmassen, volle Cafés und Restaurants.
Zu Mittag sind wir zu Gast bei Joseph Ahmar Dakno, einem guten Freund von P. Hanna. Die ganze Familie und viele Freunde haben sich eingefunden. Dechant Dadas fragt nach, wie die Familie die schwierige Zeit in Aleppo erlebt hat. Binnen Kurzem gab es keinen Strom mehr, eineinhalb Jahre hätten sie in der ganzen Wohnung Kerzen aufgestellt, erzählt Herr Dakno. Nur ein wenig Licht habe man mit Batterien zusammengebracht. Nach eineinhalb Jahren seien die großen Strom-Aggregate aufgekommen. Doch dafür musste man bezahlen. Die Armen saßen völlig im Dunkeln. Auch das Wasser blieb bald ganz weg. Es gab nur mehr die Tankwagen, Regenwasserbehälter und einen Brunnen, den die Kirche gegraben hat und der wohl vielen Menschen das Leben rettete. Vor den Wasserausgabestellen bildeten sich lange Warteschlangen und nur allzu oft schlugen genau dort Granaten der Rebellen ein. Unzählige Tote und Verletzte waren die Folgen.
Und trotzdem war den Menschen im Regierungsviertel klar, dass die Bewohner von Ost-Aleppo, das von den Rebellen gehalten wurde, noch viel mehr zu leiden hatten. „Wenn bei uns eine Granate der Rebellen einschlug, dann schlugen zehn der Regierungstruppen in Ost-Aleppo ein. Wenn wir noch ein bisschen Strom hatten, dann hatte die andere Seite gar keinen mehr“, fasst es Abir, die Tochter von Herrn Dakno, zusammen. Die Rechnung des Krieges würden immer die einfachen Leute bezahlen.
Die grauenhaften Ereignisse hätten die Menschen stärker zusammengeschweißt, sagt Herr Dakno. Auswandern wäre für ihn nicht in Frage gekommen. Seine Kinder hätten hingegen schon ein gültiges Einwanderungsvisum nach Frankreich in Händen gehalten. Doch dann haben sie beschlossen, in Aleppo zu bleiben. Aus Liebe zur Heimat und zur Familie, wie Abir sagt.
Zurück in Damaskus treffen wir Bischof Nikolas Antiba. Er spricht sehr offen, auch über die Regierung von Präsident Baschar al-Assad, im Westen nur als „Regime“ tituliert: „Wir haben sicher nicht die beste Regierung der Welt, aber sie schützt die Christen.“ Und diese honorieren das auch. Er fügt hinzu: „Wir lieben dieses Land. Es ist unser Land.“
Was Pfarrer Dadas aus Syrien mit nach Hause nimmt
Von 29. April bis 5. Mai 2018 hat Generaldechant Slawomir Dadas, Pfarrer von Wels-Heilige Familie, die drei Großstädte Syriens besucht: Damaskus, Aleppo und Homs. Im Gespräch schildert er seine Eindrücke.
Wie gefährlich war Ihre Reise?
Slawomir Dadas: Wir sind zum Teil entlang der Frontlinie gefahren und haben viel Militär gesehen. Aber direkt in Gefahr waren wir nicht. Im Westen stellt man sich aufgrund der Medien vor, dass überall Krieg herrscht. Hier geht das Leben in vielen Teilen aber auch relativ normal weiter.
Wie gestalten sich die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen?
Dadas: Es wurde uns überall berichtet, dass es kein Religionskrieg ist, sondern ein politischer Stellvertreterkrieg. Im Krieg haben die Menschen Solidarität gezeigt. Das hat Christen und Muslime zum Teil auch näher zusammengeführt. Ich spreche hier freilich von den von der Regierung kontrollierten Landesteilen.
Wie haben Sie das sogenannte „Assad-Regime“ erlebt?
Dadas: Die Christen, mit denen wir gesprochen haben, wissen die Assad-Regierung durchaus zu schätzen. Denn in vielen anderen muslimisch geprägten Ländern hätten sie nicht so viele Freiheiten wie im säkularen Syrien.
Welche Rolle spielen die Kirchen in Syrien?
Dadas: Die Kirchen sind oft die einzigen Organisationen, die helfen. Zudem haben die Kirchen im Bereich der Versöhnung eine immense Aufgabe. Kirchliche Hilfe kommt Christen wie auch Muslimen zugute.
Ihr Appell an Österreich?
Dadas: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, für die Menschen in Syrien verstärkt Hilfsmaßnahmen zu starten. Wir müssen alles tun, damit die Menschen wieder auf eigenen Beinen stehen können, damit sie in ihrem Land bleiben können. Ich hoffe sehr auf viele offene Türen und Solidarität.
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