
Seine Aufzeichnungen sind eine historische Quelle, die spannend und unterhaltend zu lesen ist.
Unter dem Titel „Kleine Welt zwischen zwei Kriegen“ liegt sein Bericht nun als Buch vor.
„Andere Länder zu schauen, die Sitten und Bräuche anderer Menschen zu fühlen“ – am Anfang des Berichts von Franz Schimpl erinnert ein Gliedsatz an die Odyssee von Homer. Dort ist nämlich auch am Beginn davon die Rede, dass Odysseus „vieler Menschen Städte gesehen und Sitte gelernt“ habe. Das konnte nach seinen eineinhalb Jahren als wandernder Schuhmachergeselle auch Schimpl von sich sagen. Da seine Wanderschaft zwischen August 1929 und Februar 1931 stattfand, sind seine Aufzeichnungen eine wertvolle Quelle, die nun in Buchform vorliegt.
Noch nicht einmal zwanzig Jahre alt ist der Sohn eines Tagelöhners aus Kirchham bei Vorchdorf , als er am 3. August 1929 in die Fremde zieht: „Im Rucksack nahm ich ein Arbeitsgewand und das nötigste Werkzeug mit, einen neuen Gummimantel und ein Paar Reserveschuhe. Außen trug ich ein unscheinbares strapazierfähiges Gewand. Geld nahm ich mir nur fünf Schilling mit, denn ich wusste ja nicht, ob es mir nicht vielleicht einmal wo gestohlen wird oder ob man überhaupt mehr bei sich tragen darf als Handwerksbursche“, schreibt er in seinem Text, der eine Zusammenfassung von Tagebuchaufzeichnungen darstellt.
Ein wichtiger Grund für seine Reise ist die berufliche Fortbildung, wie das für Handwerksgesellen lange üblich war („Walz“). Lehrgeld zahlt er aber zunächst in puncto Reiseorganisation: Weil er einen D-Zug bestiegen hat, für den seine Karte nicht gilt, muss er Strafe zahlen. Bereits nahe Wels verläuft er sich – dem Odysseus ähnlich – und muss seine Richtung korrigieren: „Ein schlechter Anfang bedeutet ein gutes Ende, dachte ich mir und fasste neuen Mut. Ich verirrte mich auch niemals mehr, obwohl ich noch Tausende Kilometer ging.“
Sehr schnell lernt Schimpl alles, was man als wandernder Geselle wissen muss: Für die Übernachtung gibt es eigene Herbergen. Wo es keine gibt, muss man bei Bauern unterkommen und etwa im Stall schlafen. Geld für die Reise erhält er durch Vorsprechen bei Schuhmachermeistern („Zehrgeld“) bzw. verdient er bei Meistern, bei denen er für eine gewisse Zeit Arbeit findet. Einfache Verpflegung erbittet er auf Bauernhöfen, aber das geht nicht immer gut: Zwischen Vöcklabruck und Wolfsegg beobachtet ihn ein Gendarm beim vermeintlichen „Fechten“ (Betteln) und vertreibt ihn.
Besonders schlimm wird es in Niederösterreich, dem Land der „reichen, stolzen, mitleidlosen Bauern“: Einer droht dem um Verpflegung bittenden Franz Schimpl und seinem zeitweiligen Reisebegleiter an, den Hund auf sie zu hetzen, und schickt ihnen zwei Knechte mit Peitsche und Stock hinterher. „Beim Zusprechen um Arbeit bekam ich im reichen Niederösterreich viel weniger als im armen Mühlviertel oder in Tirol oder Steiermark. Je ertragreicher die Gegend, desto weniger bekamen wir.“ Bezeichnend ist auch, was Schimpl über die Bundeshauptstadt schreibt: „So gern ich hineinging, so gern ging ich auch heraus aus Wien.“
Schimpls Reise führt durch alle Bundesländer, durch manche auch mehrmals. Schon in Bad Leonfelden merkt er, „dass ich mich nicht in meiner Heimat befand“, denn „die Leute sprachen einen Dialekt, den ich schwer verstand“. Unter anderem im salzburgischen Innergebirg dokumentiert er den Dialekt mit vielen Beispielen.
Außerdem wird dort anders gebetet: „Vor dem Essen wird niedergesessen und gebetet. Nach dem Essen stehen alle auf und gehen zu den Fenstern in der Stube, lehnen sich dort hin und beten beim Fenster hinaus, und wer beim Fenster nicht Platz hat, bleibt in der Stube stehen und betet beim Fenster hinausschauend; ich lehnte mich auch zum Fenster hin, aber beten konnte ich nicht das erste Mal. Erstens verstand ich das Durcheinander nicht, das sie beteten. Denn sie beteten nicht so gleichmäßig wie wir in Oberösterreich, und zweitens musste ich mich sehr zusammennehmen, dass ich nicht zu lachen anfing beim Hinausschauen beim Fenster. Wohlgemerkt ist es nicht überall so im Lande Salzburg, sondern nur in gewissen Gegenden.“
Beruflich lernt er aber gerade in Salzburg viel dazu, denn „ich hatte sechs Jahre im Flachland gearbeitet, auch gelernt, aber nicht im Gebirge wie im Pinzgau“. Bei manchen Meistern sind die Arbeitsbedingungen gut, bei andern quittiert Schimpl aufgrund schlechter Zustände bald den Dienst. In Stanz im Mürztal (Steiermark) kommt er offenbar mit dem Meister persönlich gut aus. Jedoch sind dort die Arbeitstage besonders lang und es ist auch harte Arbeit am Feld zu besorgen. Beim sonntäglichen Kirchgang fällt ihm dort noch etwas auf: „Schade um die feschen Mädel! Ich sah kaum eine, die keinen Kropf hatte“ – ein damals weitverbreitetes Problem aufgrund von Jodmangel.
In der Stadt Salzburg bekommt Schimpl etwas vom mondänen Leben begüteter Sommergäste mit, im abgelegenen Kärntner Lesachtal trifft er auf bittere Armut und Verwahrlosung. In Finkenberg im Zillertal wird er ernstlich krank. Was Franz Schimpl im Kontakt mit den Menschen auf manchen Stationen zugutekommt, ist sein Zitherspiel. Er ist sehr gesellig, auch wenn er selbst weder raucht noch trinkt.
Nach seiner Wanderschaft kehrt Franz Schimpl nach Hause zurück, arbeitet als selbständiger Schuhmacher und gründet eine Familie. Er kommt 1942 in Stalingrad ums Leben.
Mit seinen Erinnerungen an die Wanderschaft als Geselle hat er eine beeindruckende sozialhistorische Quelle für die Zwischenkriegszeit hinterlassen. Seine Enkelin Eva Artelsmair hat die Handschrift transkribiert, Franz X. Wimmer hat den Text mit Einleitung und Erklärungen versehen, Hubert Prem das Leben Schimpls soweit möglich rekonstruiert. Beigegeben ist eine Aufzeichnung des Schuhproduzenten Heini Staudinger über eine Afrikareise.
Besonders aber lebt das Buch davon, dass der Text von Franz Schimpl nie eintönig wird, sondern voller Leben und vieler Details ist. Das Buch ist ein schlagendes Argument dafür, dass Geschichte nicht langweilig ist.
Eva Artelsmair, Hubert Prem, Franz X. Wimmer: Kleine Welt zwischen zwei Kriegen. Die Wanderjahre des Schuhmachers Franz Schimpl aus Kirchham. Ennsthaler Verlag, Steyr 2025, 175 Seiten, € 25,–

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