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Wollen muss man es – und jene, die mit den Ängsten der Menschen spielen, dazu bringen, dass sie es einsehen. Dann könnte es einen Weg geben, der für die Menschheit eine gute Zukunft eröffnet. Eine andere, nämlich solidarische Haltung braucht es, ein Durchbrechen des Laufs der Welt, in dem wohlhabende Schichten und Staaten ihre Interessen sichern, während immer mehr Menschen an den Rand gedrängt werden. Nach dem Ende der 21. Ökumenischen Sommerakademie fuhren viele zumindest ein wenig gestärkt mit dieser Hoffnung heim. Vom 10. bis 12. Juli ging es im Stift Kremsmünster um „die gespaltene Gesellschaft“.
Der Gehaltsunterschied, der vor 30 Jahren in Unternehmen noch ein Verhältnis von 1 zu 20 zwischen Spitzen- und Durchschnittsverdienst aufwies, liegt in großen Unternehmen heute bei 1 zu 200, zeigte der Hamburger Gesellschaftsanalytiker Sighard Neckel auf. Obwohl die Armut weltweit zurückgegangen sei, wären die Einkommens- und Vermögensunterschiede zwischen Armen und Reichen viel größer geworden, führte Neckel aus. Vermögenden würden neue Privilegien zugestanden. Die Mittelschicht verschwinde. Armut verfestige sich, die Chance, aus Armut je wieder herauszukommen, sinke. Immer mehr Menschen gerieten in Abhängigkeiten. Doch wenn sich Menschen in so verschiedenen Welten aus den Augen verlören, entstehe eine gefährliche Situation. Letztlich untergrabe diese Wiederkehr der Gegensätze die Zustimmung zur Demokratie, warnte Neckel. Sie sei ein Grund dafür, dass Rechtspopulisten so breit Zustimmung gefunden hätten. Die europäische Linke, die früher für den „Schutz der kleinen Leute“ gestanden sei, stehe der Situation heute weitgehend hilflos gegenüber. Neckel ortet einen Rückfall in einen neuen Feudalismus des modernen Kapitals und in Machtmonopole. So werde der Boden bereitet für den Rechtspopulismus, der auf die Angst der Menschen baut.
Die Angst der Menschen nicht beiseitezuschieben, sondern sie „vom Bauch in den Kopf“ zu bringen, sei die Herausforderung, meinte der Theologe Paul M. Zulehner. Einerseits müsse man die Angst der Menschen verstehen, aber es gehe dann vor allem darum, „in der Angst zu bestehen“. Zielführender als der Kampf gegen das Böse sei, „das Vertrauen zu stärken, damit es die Oberhand gegen die Angst gewinnt“. Vertrauensbildung in einer Kultur der Angst sei eine zentrale Lebensaufgabe. Die Kirchen könnten „Oasen des Vertrauens in Kulturen der Angst“ sein.
Zulehners Überzeugungen treffen sich hier mit den Erfahrungen des Menschenrechtsexperten Walter Suntinger, der unter anderem als Polizeitrainer tätig ist. Kirchliche Gemeinden könnten Orte eines „würdevollen Miteinanderredens“ sein. Es brauche den Dialog, um Gegensätze überwinden zu lernen, ein „aktives Zugehen auf alle Bevölkerungsgruppen“. Es brauche, so Suntinger, das Verstehen das anderen. Als Menschenrechtsexperte bringt er die „goldene Regel“ ins Spiel, die es in der Bibel ebenso wie im Islam gibt: Nichts tun, was man nicht wünscht, dass einem angetan wird, und anderen zugestehen, was man sich selbst wünscht. Die Menschenrechte als Basis des Zusammenlebens zu schützen, sei eine Kernaufgabe der staatlichen Organe. Doch rechtspopulistische Ideologien beziehen Menschenrechte nur auf ihre eigene Nation, sie wollen sie sichern, indem sie andere ausschließen – und verkehren sie so ins Gegenteil.
Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie in Österreich, stellte die Tischgemeinschaft als zentrales Bild in den Raum – mit der Betonung darauf, dass dieser Tisch für alle gedeckt sei. Es brauche Orte, an denen man sich von Angesicht zu Angesicht begegnet, meinte sie.
Der Linzer Sozialwissenschaftler Christian Spieß brachte einen Kernbegriff der katholischen Soziallehre – Solidarität – ins Spiel. In den großen Errungenschaften wie der Sozialversicherung, der freien Wohlfahrtspflege und der Sozialpartnerschaft sei dieses solidarische Freiheitsverständnis politisch verwirklicht worden. Dass gerade diese Errungenschaften heute oft ausgetrickst würden und dass Wohlfahrtsorganisationen wie Caritas und Diakonie diffamiert würden, wurde bei der Akademie immer wieder kritisiert.
Das Ringen zwischen nationalen Eigeninteressen und dem Wohl für die gesamte Menschheit ist allerdings alles andere als neu. Es durchziehe schon die Bibel, führte der Heidelberger evangelische Theologe Gerd Theißen vor Augen. Mehr und mehr setzte sich eine Haltung durch, die Freiheit und Gerechtigkeit für alle Menschen wollte – und nicht nur für das eigene Volk. Nicht zuletzt in Paulus komme das zum Ausdruck, der sich in seiner Bekehrung vom Verfolger zum „Universalisten“ gewandelt hat, indem er losgelassen hat vom Fanatismus gegen Fremde und die Liebe Gottes für alle Menschen verkündet hat. Eine solche Umkehr könne man auch heute Menschen zutrauen.
Der langjährige sozialdemokratische EU-Mandatar Josef Weidenholzer sieht die Situation an einem Wendepunkt angelangt – ähnlich dem zu Beginn der 1930er-Jahre, als einfach nicht klar war, ob man die nationalsozialistischen Kräfte würde in die Schranken weisen können. Er warnte davor, den Kompromiss als Mittel der Politik oder auch die Sozialpartnerschaft lächerlich zu machen und mit dem „Rohstoff Angst“ Politik zu betreiben. Europa habe sehr viel zustande gebracht, sowohl Kirchen als auch Parteien hätten sich verändert. Trotz der Risse, die durch die Gesellschaft gehen, zeigte sich Weidenholzer optimistisch, dass ein grundsätzliches neues Miteinander möglich sei. „Wir müssen den Mut haben, über Wahrheiten zu reden“, betonte er. Zum Beispiel bei einem neuen Österreich-Konvent.
Reinhold Mitterlehner, ehemals Vizekanzler und ÖVP-Obmann, warnte vor einer rechtspopulistischen Politik. Diese zeige sich in einer Verrohung der Sprache, vor allem in der Ausgrenzung. „Wer ‚Österreich zuerst‘ sagt, gesteht Gleichheit und Würde nicht allen Menschen zu.“ Mitterlehner wandte sich gegen ein „Kreuzritter-Verständnis“, das meine, das christliche Abendland gegen andere verteidigen zu müssen. Die weitaus meisten Probleme seien grenzüberschreitend, deshalb müsse man sie auch global lösen.
„Wir können nicht alles, aber wir können erstaunlich viel“, meinte Caritas-Präsident Michael Landau im Dialog mit den Politikern. Caritas und auch die Diakonie stünden für eine Grundhaltung: „Der Platz der Kirche ist an der Seite der Armen“. Man dürfe Armen nicht das als Gaben anbieten, was ihnen von Rechts wegen zustehe. Die Möglichkeit einer guten Zukunft sieht Landau gegeben, „wenn wir das wollen“. Der gewählte evangelische Bischof Michael Chalupka kritisierte, dass die Erfahrungen der Hilfsorganisationen – Chalupka war bis 2018 Diakonie-Direktor – in den letzten beiden Jahren praktisch nicht mehr berücksichtigt wurden. Anwalt der „Mühseligen und Beladenen“ zu sein, sei Aufgabe der Kirchen. Sie sollten Oasen des Vertrauens bilden in der Welt. Man könne viel tolerieren, aber nicht jede Intoleranz, plädierte Gerd Theißen für eine Kultur des Dialogs. Konflikte, sagte der evangelische Theologe, müsse man anerkennen und nach Regeln austragen. Europa sei es oft schon gelungen, solche Konflikte auszufechten, etwa zwischen Konfessionen oder Klassen. Ein neuer „Konflikt“, nämlich der zwischen Mensch und Natur, stehe an. Es braucht Gespräch, es braucht Regeln.
zu Bild 1: Ex-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, Caritas-Präsident Michael Landau, Helmut Obermayr (Sommerakademie-Leiter), Michael Chalupka, künftiger evangelischer Bischof, und Ex-EU-Mandatar Josef Weidenholzer.
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