„Leider hat es die leise Stimme der Sehnsucht schwer: In einem eng getakteten Leben findet sie kaum Gehör“, schreibt die Erfolgsautorin Melanie Wolfers in ihrem jüngsten Buch. Gemeinsam mit Andreas Knapp zeichnet sie eine Landkarte für Umbruchzeiten des Lebens.
Frau Wolfers, Ihr neues Buch „Atlas der unbegangenen Wege“ ist ein sehr persönliches Buch geworden. Immer wieder sind Ihre eigenen früheren Tagebucheinträge eingestreut. Wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Melanie Wolfers: Die Erfahrung zeigt: Unser Leben verändert sich ständig – persönlich, gesellschaftlich, global. Viele Menschen fragen sich: Wie kann ich mein Leben so führen, dass es stimmig ist? Andere spüren, dass sie an sich selbst vorbei leben, wünschen sich Veränderung, haben aber Angst vor dem Unbekannten. Diese Fragen begegnen mir seit über 30 Jahren in meiner Beratungstätigkeit. Im Grunde geht es um die wichtigste Reise des Lebens – die Reise zu sich selbst. Sie führt zugleich immer auch zum Mitmenschen und zum Geheimnis des Lebens. In einer Zeit, in der sich die Welt gefühlt alle paar Tage disruptiv verändert, wollte ich ein Buch schreiben, das Orientierung bietet: Wie verlieren wir uns nicht in diesem Wandel, sondern finden uns – und zueinander?
Das Buch haben Sie, wie bereits andere Bücher, gemeinsam mit Andreas Knapp geschrieben. Wie schreibt man zu zweit ein Buch?
Wolfers: Zunächst haben wir uns auf das Thema verständigt. Dann haben wir gesammelt, in welche Bereiche wir uns tiefer einlesen wollen – von aktuellen humanwissenschaftlichen Studien bis hin zur Heldenreise nach Joseph Campbell (1904–1987). Dann haben wir aufgeteilt, wer welches Buch liest. Schließlich haben wir uns im Gespräch miteinander die Gliederung überlegt. Die einzelnen Kapitel haben wir dann parallel geschrieben, jeder bei sich zuhause. Diese haben wir uns gegenseitig korrigiert und später im direkten Austausch intensiv diskutiert. Wir ringen da wirklich um einzelne Worte, manchmal war es hitzig. Aber gerade dass wir unterschiedliche Stärken haben, bewirkt eine wunderbare Ergänzung. Im Laufe des Prozesses entstand dann auch die Idee, persönliche Tagebuchaufzeichnungen einzufügen – von unseren eigenen Umbrüchen, dem Ausstieg aus früheren beruflichen und privaten Lebenswegen und dem Eintritt in unsere Ordensgemeinschaften. Es ist das erste Mal, dass wir so persönlich von unseren Erfahrungen erzählen. Hoffentlich steckt darin eine Inspiration für andere. Wir reflektieren den Zauber des Anfangs, Zweifel, Scheitern, Erfolge, das Nicht-weiter-Wissen ebenso wie das tiefe Gefühl der Dankbarkeit.
Das zentrale Thema Ihres Buches ist der Aufbruch. Aber manchmal ist es ja nicht das Gehen, sondern das Bleiben, das zählt. Wie unterscheidet man, wann Aufbruch und wann Durchhalten dran ist?
Wolfers: Das ist tatsächlich eine der entscheidenden Fragen. Ein Aufbruch ist sinnvoll, wenn das Leben „anklopft“: wenn sich eine unverhoffte Chance auftut oder eine neue Lebensphase ansteht. Oder wenn ich spüre, dass ich an mir vorbei lebe und der Alltag grau geworden ist. So grau, dass sich etwas ändern muss. Aber manchmal wäre ein Aufbruch auch eine Flucht. Neustart heißt dann nicht, dass ich meine Sachen packe und eine Weltreise mache, sondern es kann auch etwas sehr Kleines sein, ein neuer Akzent. Wenn ich bleibe, ist die Frage: Wie bleibe ich? Dann kann der Aufbruch eine neue innere Haltung bedeuten, eine neue konstruktive Sicht. Ein Satz aus der Gestalttherapie bringt es auf den Punkt: Love it, leave it or change it – Lerne es zu lieben, verlasse es oder verwandle es. Auch das Bleiben kann ein innerer Aufbruch sein, etwa in einer Beziehungskrise: Wir entscheiden uns, gemeinsam weiterzugehen und neu zueinander zu finden. Das wäre ein Neustart im Alten, eine Frage der inneren Einstellung.
Sie sprechen auch den Selbstoptimierungsdruck in der Gesellschaft an. Wo liegt der Unterschied zwischen einem konstruktiven Neubeginn und dem Zwang, sich selbst optimieren zu müssen?
Wolfers: Selbstoptimierung kann gnadenlos sein – vor allem, wenn wir uns selbst gnadenlos überfordern. Ein echter Neubeginn dagegen kann auch bedeuten, Frieden mit den eigenen Grenzen zu schließen. Dann wird das Leben sich anders anfühlen, weniger krampfhaft, weniger stressig, weniger gezwungen, entspannter, friedvoller. Wenn ich spirituell auf den Selbstoptimierungsdruck schaue, würde ich sagen, das ist eigentlich praktisch gelebter Atheismus – ich muss mir meinen Wert ständig neu erarbeiten. Als Christin hingegen darf ich vertrauen: Es ist gut, dass es mich gibt. Das macht freier von dem Druck, ständig an mir herumzupfen zu müssen, um mehr Likes im Internet zu haben, um eloquenter, spiritueller, klüger, erfolgreicher, beliebter, keine Ahnung, hilfsbereiter zu sein. Dann wird das Leben leichter, friedvoller, entspannter – und zwischenmenschlich erfüllender.
Sie erwähnen im Buch Übergangsrituale. Haben Sie selbst ein Lieblingsritual?
Wolfers: Ja, ich pilgere sehr gerne. Wenn ich äußerlich aufbreche, hilft es mir, auch innerlich weiterzukommen – sodass ich im Aufbrechen auch einen seelischen Stillstand überwinde. Dass ich, wenn ich in die Weite schreite, auch innere Wandlungsschritte vollziehe und so – Schritt für Schritt – mir selbst entgegenwandere. Pilgern ist für mich ein starkes Symbol für diese Wandlung. An Lebenswenden oder Übergängen hat mir das Gehen immer geholfen, neue Perspektiven zu gewinnen.
Ein weiterer Schlüsselbegriff in Ihrem Buch ist die Sehnsucht. Wie kann man Klarheit über die eigene Sehnsucht bekommen?
Wolfers: Zunächst braucht es eine Kultur des Innehaltens, der Stille, der Selbstwahrnehmung – sonst geht die Sehnsucht im Lärm des Alltags unter. Hilfreich sind auch Fragen, die spontan beantwortet werden sollten: Wenn ich einem Neugeborenen einen einzigen Rat fürs Leben geben dürfte – welcher wäre das? Welche fünf Menschen beeindrucken mich und warum? Was soll auf der „Visitenkarte meines Lebens“ stehen? In solchen Antworten zeigt sich oft ein roter Faden, der einer tieferliegenden Sehnsucht entspricht. Die christliche Tradition versteht Sehnsucht als göttliche Kraft – als Herzenskraft, die uns unseren Weg weist und nach unserer Bestimmung suchen lässt.
Es geht nicht nur um das persönliche Glück, sondern auch um die Verbindung zu anderen. Wie findet man die Balance dazwischen?
Wolfers: Die Reise zu sich selbst ist immer auch eine Reise zum Mitmenschen und zum göttlichen Geheimnis des Lebens. Nehmen wir eine Partnerschaft: Treue zu sich selbst und Treue zum anderen gehören zusammen. Manchmal bedeutet das, Konflikte auszutragen, in der Hoffnung, gemeinsam zu wachsen – mit offenem Ausgang. Aber klar ist: Die Balance zwischen eigenem Glück und der Verantwortung füreinander ist kein Widerspruch, sondern ein wichtiger Bestandteil gelingenden Lebens.
Wie ein Neubeginn gelingt!
Melanie Wolfers wird in unserer Herbstserie im Oktober jede Woche ermutigen, den Weg zu sich selbst zu gehen. Darüber hat sie auch ein Buch geschrieben, den „Atlas der unbegangenen Wege“.
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