Frau Köhler, hat Sie die Auszeichnung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz für „Himmelwärts“ überrascht?
Karen Köhler: Ja, sehr. Aber auch gefreut! Dass da bei der Kirche eine Offenheit ist für ein Kinderbuch, das frech ist, in dem gegendert wird, in dem Religionskonzepte hinterfragt werden, das aber inhaltlich getragen ist von einer Liebe, die über den Tod hinausgeht. Dass das von der Jury gesehen wurde, dass dieser Überwindungsumgang mit dem Tod gesehen und erhoben wurde, das stimmt mich froh. Denn der Tod ist so ein vereinendes, universelles Thema, es wird viel zu wenig darüber gesprochen. In einer Liebe aber, die darüber hinausgeht, sind wir unsterblich.
Welches Ereignis hat Sie zu diesem Buch inspiriert?
Köhler: Vorlage für das Buch war mein gleichnamiges Theaterstück, ein Schreibauftrag für das Junge Theater Ingolstadt. Ich sollte ein Stück zum Thema Kosmos schreiben. Es kam mir ein Programm der NASA in den Sinn, bei dem Mädchen lernen, Radios zu bauen, mit denen man zur Internationalen Raumstation ISS hochfunken kann. Das gefiel mir. Und dann suchte ich nach einem thematischen Gegengewicht zur kosmischen Schwerelosigkeit und entwickelte den Handlungsstrang so, dass eines der Mädchen einen schweren Verlust erlitten hat und die beiden Freundinnen gemeinsam in den Himmel funken, um die verstorbene Mutter zu erreichen. Das Verrückte ist: Nachdem ich den Text durchgeplottet, aber noch nicht ausgearbeitet hatte, bekam mein Vater eine schwere Diagnose. Ich ließ alles stehen und liegen und begleitete ihn beim Sterben. Wir hatten noch vier gemeinsame Monate, danach schrieb ich das Theaterstück. Es wurde dadurch für mich sehr besonders, weil mich die große Vermissung fest in ihren Klammern hatte.
Mit welchem Ziel haben Sie das Buch geschrieben?
Köhler: Der Hanser Verlag fand das Theaterstück so toll, dass ich gefragt wurde, ob ich daraus ein Kinderbuch machen möchte. Normalerweise richtet sich meine Prosa an Erwachsene. Für Kinder hatte ich bisher nur Theaterstücke geschrieben. Ich konnte mir „Himmelwärts“ aber als Buch vorstellen, und mir war sofort klar, dass ich es aus Tonis Perspektive schreiben musste. Ich war ja selbst eine trauernde Tochter. Tonis Stimme, ihr Erzählen war für mich sofort abrufbar. Toni und ich haben große Überschneidungsflächen. Ich hatte kein Ziel im engen Sinn beim Schreiben. Das Schreiben muss für mich immer ein beschützter, freier Raum sein, der sich tief in die Augenblickserfahrung lehnt und auf innere Prozesse vertraut. Was mich bewegt, vermag auch andere zu bewegen, wenn ich es schaffe, durchlässig zu bleiben im Schreiben. Diese zärtliche Durchlässigkeit ist auch eine Wunde. Ich zeige unter der Texthaut auch meine eigene Verletzlichkeit, damit andere sich darin spiegeln können, um sich selbst zu erkennen. Wenn das gelingt, wenn ich es so vermag, Menschen zu berühren, ist es ein kleines Wunder.
Wie pflegen Sie Ihre Beziehung zu nahestehenden Verstorbenen?
Köhler: In den letzten drei Jahren habe ich drei nahe Familienangehörige beerdigt, habe intensive Sterbebegleitungen hinter mir. Mein Vater ist beispielsweise immer anwesend. Täglich denke ich an ihn, und er begegnet mir auf vielfältige Weise. Er gibt mir Zeichen, die wirklich magisch sind. Das erste Trauerjahr war hart, ich hatte Angst, ein wichtiges Detail von ihm zu vergessen und ihn dadurch ganz zu verlieren. Es dauerte ein Jahr, bis ich an seinem ersten Todestag begriff, dass ich den Tod nicht aufhalten kann. Dass ich sehr wahrscheinlich Details vergessen werde, dass aber die Liebe nicht verblasst, dass in meiner Liebe zu ihm etwas entsteht, ein Raum, der Grenzen zu überwinden vermag.
Was empfinden Sie beim Gedanken an den eigenen Tod?
Köhler: Ja. Der wird kommen. Das ist die Gleichung, der wir alle unterworfen sind. Für mich ist der Tod eine Pforte. Wenn wir durch diese Pforte gehen, ist es vielleicht so, wie nach einer durchtanzten Nacht die zu eng gewordenen Schuhe endlich auszuziehen? Ich durfte erleben, dass Sterben ein sehr aktiver Prozess ist. Meine Oma sagte in der Endphase ihres Sterbens zu mir so schöne Sachen. Sie fahre nochmals nach oben, bekäme ihren Kopf noch nicht raus, ob ich helfen könne. Ich half, und sie ließ sich Zeit, pendelte noch einige Tage hin und her. Dieser Lösungsprozess war für mich auch bei meinem Vater beobachtbar. Das Sterben folgt einer Mechanik, genau wie die Geburt. Gehen wir durch eine Tür, verlassen wir einen Raum, treten aber auch in einen anderen Umraum ein.
Tonis Freundin YumYum sagt statt „Oh my God“ immer „Oh my Gravity“ (Oh meine Schwerkraft), weil sie nicht an Gott glaubt. Wie ist das bei Toni?
Köhler: Es wird in dem Buch nicht explizit über Glaube im christlichen Sinne gesprochen, wohl aber werden die Grenzen der materiellen Existenz sehr genau von den beiden Kindern erörtert. YumYum nähert sich der spirituellen Frage über die Wissenschaft an, Toni über das Gefühl. Toni trägt durch den Verlust noch eine Enttäuschung mit sich. So nach dem Motto: Wenn es einen Gott gibt, warum ist er dann so scheiße und lässt meine Mutter sterben? Sie sagt es so nicht, aber sie fühlt durch die Wucht des Todes ihre Weltsicht erschüttert. Sie weiß noch nicht, dass so etwas wie „Gott“ nur jenseits von „gut“ und „schlecht“ erfahrbar ist, jenseits aller Wertung. Aber sie fühlt es.
Hinter der Unterhaltung der beiden Mädchen steckt viel Wissen über den Weltraum. Haben Sie alles selbst recherchiert, wussten Sie das vorher schon oder hatten Sie Helfer:innen?
Köhler: Klar habʼ ich das selbst recherchiert. Ich bin Weltraum-Nerd! Ich liebe es zudem, unter freiem Himmel zu schlafen mit dem Blick beim Einschlafen in den Sternen. An keinem Ort fühle ich mich so geborgen wie im Weltraum. Beim Recherchieren für das Theaterstück habe ich Kontakt zu Suzanna Randall aufgenommen, einer deutschen Astronautin. Sie hat mit mir und Kindern der Zielgruppe einen Zoom-Talk gemacht. Die Fragen, die
YumYum und Toni der Astronautin im Buch stellen, stammen aus dieser Unterhaltung: Es sind echte Kinderfragen.
Die Hamburgerin Karen Köhler hat zwölf Jahre lang als Schauspielerin gearbeitet, heute veröffentlicht sie Theaterstücke, Drehbücher, Hörspiele, Erzählungen und Romane. „Himmelwärts“ ist ihr erster Roman für Kinder.
Toni ist zehn und vermisst ihre Mutter, die mit 37 Jahren an Krebs gestorben ist. Auch ihr Vater und ihre beste Freundin „YumYum“ vermissen die vor wenigen Monaten verstorbene Frau. Wie verschieden die drei damit umgehen, können die Leserinnen und Leser des von Karen Köhler verfassten Buchs „Himmelwärts“ eine Nacht lang miterleben.
Zum 36. Mal verleiht die Deutsche Bischofskonferenz den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis. Eine Jury wählte das Preisbuch unter 139 Titeln aus.
Am 15. Mai erhalten Autorin Karen Köhler und Illustratorin Bea Davies den Preis für „Himmelwärts“.
Für ihr Buch „Himmelwärts“ bekommen Karen Köhler (Text) und Bea Davies (Illustration) den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2025 der Deutschen Bischofskonferenz. Das Buch handle von der Kraft der Freundschaft und ihrer trostspendenden Dimension in schwersten Zeiten, begründete die Jury ihre Wahl. Der Roman halte zwar die Frage offen, was nach dem Tod komme, gebe aber Hoffnung und „tröstet, ohne zu vertrösten“.
Wer das Buch „Himmelwärts“ zur Hand nimmt und liest, muss nicht jünger als 15 Jahre sein. Die Ich-Erzählerin ist zwar zehn Jahre alt, was ihre Geschichte vermittelt, ist aber in jedem Lebensalter von Bedeutung. Es geht um das Abschiednehmen von und das Verbindunghalten zu einer verstorbenen Person, im Fall von Toni ist es die Mama. In diesem Prozess spielen Gefühle eine große Rolle. Es geht um Trauer („Die Vermissung ist größer als das Universum“), Angst („Glaubst du, ich könnte schuld sein an Mamas Krankheit?“), Einsamkeit („Ich merke erst jetzt, dass YumYum mit meiner Mama eine Freundin verloren hat“), Liebe („Ich mache eine Notiz fürs Papa-Zeugnis: Note Eins im Trösten“, Freude („Wahnsinn. Wir haben mit einer Astronautin gesprochen, mit Zanna, die über uns durch den Weltraum saust“). Aber auch die Angst vor den Gefühlen hat Platz. Wie Toni auf den ersten Seiten des Buches gar nicht wagt, Mamas Tod auszusprechen. Wie Papa sich in seine Welt zurückzieht. Oder wie der besten Freundin YumYum verboten war, zur Beerdigung zu gehen. Es braucht Mut für die Gefühle, die erst im Lauf der Geschichte mehr und mehr Platz bekommen, auch durch die Einträge in „Tonis Notizbuch“, in denen sich die Ich-Erzählerin an Erlebnisse mit Mama erinnert.
Am Ende hofft man irgendwie, das Buch möge noch ganz viele Seiten haben. „Himmelwärts“ ist flott geschrieben, originell („Vermissung“ ist beileibe nicht die einzige stimmige Wortschöpfung), einfühlsam (niemand steht am Ende blöd da) und berührend (Taschentücher bereithalten!). Die Geschichte erklärt nicht, wozu Menschen leben und sterben oder was danach kommt, aber allein dadurch, dass sie den scheinbar sinnlosen Tod einer 37-jährigen Frau thematisiert und dabei in den Blick nimmt, wie die Lebenden damit zurechtkommen, wirkt es befreiend. YumYums Mutter, die ihre Tochter im Buch nicht zur Beerdigung von Tonis Mama gehen ließ, ist kein Einzelfall. Dass Kinder von Begräbnissen, aber auch von Fragen nach Leben und Tod abgeschirmt werden, ist durchaus verbreitet. Umso wichtiger ist dieses Buch.
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