„Es ist für mich heute unfassbar, welche Mengen ein Mensch hinunterschütten kann“, sagt Franz* (68), seit mehr als 30 Jahren Mitglied der Anonymen Alkoholiker (AA) und seither trocken. Das Problem bei der Alkoholsucht sei, dass sich die Betroffenen lange Zeit einreden, gar kein Problem zu haben. „Ich dachte, ich könnte jederzeit aufhören“, schildert Franz. Die Freunde gingen von der Party nach Hause, wenn sie kein Geld mehr hatten – Franz borgte sich welches aus oder „fuchste“ es sogar von seiner Mutter. Die Hoffnung, nach der Hochzeit mit seiner Frau würde er „gescheiter“ werden, war eine trügerische: „Sie hat mich darauf angesprochen, dass ich zu viel trinke. Das hab ich natürlich abgestritten und mir gleichzeitig gedacht, wenn du wüsstest.“ Er habe immer wieder versucht, seinen Konsum in den Griff zu bekommen. Auch ein Seminar zum Thema Alkoholsucht oder die Familienrunden der KAB habe er besucht, was auch immer mit einer Einsicht geendet habe. Die hielt jedoch nur zwei Wochen an, „dann hat es mich wieder erwischt“.
Die Meetings der Anonymen Alkoholiker brachten schließlich die Wende. AA unterstützt die Betroffenen dabei, sich selbst zu helfen. „Mir half es sehr, dass mit mir Klartext gesprochen wurde“, sagt Franz. Jetzt, während der Pandemie, finden die Treffen hauptsächlich per Videochat und über das Telefon statt, speziell in Linz trifft sich jeden Sonntag eine Gruppe, um spazieren zu gehen. „Alkoholismus ist eine Krankheit, die jeden Menschen, unabhängig von Stand und Geschlecht, treffen kann“, sagt Franz. Ein Anruf oder der Gang zu einem Treffen sei ein erster Schritt, denn die Krankheit Alkoholismus begleite einen ein Leben lang. „Manche glauben, nach einer Weile wieder normal trinken zu können, und bekommen einen Rückfall.“ In Österreich habe der Alkohol eben eine lange Tradition und gehöre zum Leben dazu: Das Bier zum Sonntagsbraten, der Schnaps gegen Magenweh, zum Geburtstag ein paar Gläser Sekt – „obwohl auch Saft schmeckt“.
Besonders jetzt während der Coronakrise berichtet etwa die Telefonseelsorge OÖ von einem Anstieg bei den Rückfällen, sowie dem verstärkten Alkoholkonsum zuhause. Mehr zu trinken bedeutet aber nicht gleich, Alkoholiker/in zu sein, erklärt Silvia Breitwieser, Leiterin der Telefonseelsorge OÖ, welche auch eng mit den AA zusammenarbeitet: „Es gibt einen Unterschied zwischen Alkoholsucht und Alkoholmissbrauch. Beim Missbrauch hat man noch die Kontrolle über den Anfang und das Ende des Konsums. Ein paar Gläschen Wein, um besser schlafen zu können, oder um traumatische Erlebnisse besser auszuhalten.“ Es geht also darum, Befindlichkeiten zu verbessern. Der Alkoholmissbrauch geht dann in die Sucht über, wenn die Betroffenen die Kontrolle verlieren und alle anderen Interessen hinter ihren Konsum stellen. „Ihnen sind die schädlichen körperlichen und psychischen Folgen bewusst, doch sie nehmen das in Kauf.“
Unter der Alkoholsucht leidet nicht nur der oder die Betroffene selbst, sondern auch der Partner/die Partnerin, die Kinder, die Freundschaften. Aus diesem Grund gibt es eigene Angehörigen-Gruppen, „Al-Anon“ (für Erwachsene) und „Alateen“ (für Kinder und Jugendliche). Diese sind ebenso wie AA kostenlos und anonym. Zu einer dieser Gruppen gehört Miriam* (58): „Ich bin vor etwa 24 Jahren zu Al-Anon gekommen. Ich wusste damals nicht mehr, was ich tun sollte. Die Auswirkungen des Trinkverhaltens meines Mannes haben mich überfordert.“ Auch bei Al-Anon geht es ähnlich wie bei AA um Hilfe zur Selbsthilfe durch den Austausch von Erfahrungen. Angehörige fühlen sich oft schuldig, erzählt Miriam: „Mein alkoholkranker Partner hat mir oftmals die Schuld gegeben. Mit der Zeit wurde ich immer unsicherer und habe mich immer mehr bemüht, alles richtig zu machen, in der Hoffnung, es würde sich etwas ändern.“ Änderung könne aber nur der Alkoholiker/die Alkoholikerin für sich selbst herbeiführen, weshalb nicht zu helfen oftmals die beste Hilfe sei: „Ich habe vorher ständig alle Aufgaben übernommen, immer darauf geachtet, was mein alkoholkranker Partner braucht oder tun soll. In Al-Anon konnte ich erkennen, dass ich mich co-abhängig verhalten habe.“
Durch die regelmäßigen Meeting-Besuche habe sie wieder mehr Verantwortung für ihr eigenes Leben, ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen übernehmen können. Vom Umfeld wurde ihr dabei nicht nur Verständnis entgegengebracht, sie habe sehr schnell eine Schuldumkehr wahrgenommen. „Ich würde mir wünschen, dass Menschen den Mut finden, Alkoholmissbrauchende anzusprechen und Grenzen zu setzen. Das ist ungewöhnlich und wir haben das nicht gelernt, aber es ist eine liebevolle Möglichkeit.“
*Namen von der Redaktion geändert
Infos und Treffen AA: www.anonyme-alkoholiker.at oder 0664 207 20 20
Infos und Treffen Al-Anon: www.al-anon.at oder 0676 93 88 856
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