Gehen wir zurück: Wie haben Sie das „Herunterfahren“ – den Montag, 16. März 2020 – erlebt?
Rupert Aschauer: Als sich die Coronakrise zuspitzte, hat mir am Freitag die Plegedienstleitung gesagt, dass es gut ist, dass es die Seelsorge in solchen Situationen gibt und dass ich natürlich zum Team des Hauses gehöre. Am Montag rief mich die Heimleitung an und teilte mir mit, dass ich bis auf Weiteres Betretungsverbot habe. Das war nicht seine Entscheidung, sondern die Vorgabe der Behörde. Ich bin zwar hauptamtlicher Seelsorger im Altenheim Mauthausen, aber bei der Diözese angestellt und der Sozialhilfeverband Perg refundiert der Kirche ein Drittel der Lohnkosten. Rechtlich gesehen werde ich als Seelsorger wie ein Systempartner behandelt, wie der Physiotherapeut oder ganz ähnlich wie die Friseurin, die ins Haus kommt. Ich war fassungslos und orientierungslos.
Ist es allen Seelsorgerinnen und Seelsorgern in Altenheimen so ergangen?
Aschauer: Von den dreißig hauptamtlichen Altenheimseelsorger/innen in OÖ durften nur drei die Altenheime betreten – und zwar jene drei, in denen die Seelsorge ein fester Teil der Pflege geworden ist. Man muss aber immer dazusagen: Das generelle Betretungsverbot wurde im Laufe der Wochen doch unterschiedlich rigoros ausgelegt. Daher trifft das, was ich sage, nicht auf alle in der gleichen Weise zu. Ich rede hier von meinen Erfahrungen. Für die mehr als siebzig ehrenamtlichen Altenheimseelsorger/innen galt das Betretungsverbot natürlich auch.
Was haben Sie in der Zeit getan, als Sie nicht an ihren Arbeitsplatz durften?
Aschauer: Ich habe für jeden Sonntag Gebetsblätter gestaltet und das Personal gebeten, sie zu verteilen. Die Gebetsblätter haben sich teilweise auch an das Personal gewendet. Die Rückmeldungen, die ich inzwischen bekommen habe, waren sehr positiv. Ich habe auch Heimbewohner/innen angerufen, bei denen das möglich war.
Haben Sie die Möglichkeiten der Technik genutzt, etwa die Übertragung von Gottesdiensten auf die Zimmer, oder Video-Chats?
Aschauer: Die Übertragung der Gottesdienste im hauseigenen Fernsehnetz ist an der Technik gescheitert. Ich wollte das Personal aber auf keinen Fall zusätzlich belasten, weil ich wusste, dass jeder und jede bis an die Grenze des Möglichen zu arbeiten hatte.
Was war mit den Todesfällen, die es ja auch in dieser Zeit gegeben hat?
Aschauer: Der Herr Pfarrer konnte einmal zum Versehgang ins Haus – mit den gebotenen Vorsichtsmaßnahmen.
Wer entschied über die Betretungsverbote? Wie werden überhaupt Maßnahmen für die Altenheime gesetzt?
Aschauer: Das geht vom Gesundheitsministerium über den Krisenstab des Landes und die Sozialhilfeverbände, denen zumeist die Bezirkshauptleute vorstehen, bis hin zum Heimleiter, der dann Letztentscheidungen zu treffen hat. Dadurch gibt es oft innerhalb eines Bezirkes unterschiedliche Lösungen.
Seit wann dürfen Sie wieder tätig sein?
Aschauer: Ich durfte am 11. Mai das erste Mal wieder ins Haus. Das Problem, das große Unruhe unter den Seelsorgern auslöste, war die Ungleichzeitigkeit. Während in Vorarlberg bereits wieder Ehrenamtliche aus der Seelsorge auf die Stationen durften, galt bei uns für Hauptamtliche noch das Betretungsverbot für die Wohnbereiche.
Was konnten Sie bereits tun?
Aschauer: Ich habe im Freien bei der Mariengrotte eine Maiandacht gefeiert. Ab Pfingstmontag darf jeweils getrennt nach Wohnbereichen Gottesdienst in der Kapelle gefeiert werden.
Eine besonders verletzliche Gruppe von Heimbewohnern sind Demenzkranke. Was haben die Corona-Beschränkungen für diese Menschen bedeutet?
Aschauer: Von Pflegern weiß ich, dass die Demenzkranken am meisten gelitten und auch am meisten abgebaut haben. Generell kann man sagen, dass die Bewohner/innen froh sind, dass auch die Seelsorger wieder ins Haus dürfen. Denn mit ihnen kann man besprechen, so hat mir das eine 85-jährige Frau gesagt, was man mit dem Personal und oft auch mit der eigenen Familie nicht besprechen will.
Was ist mit den neuen Zeichen der Nähe und des Segnens, die in der Corona-Krise gefunden wurden, von denen immer wieder zu hören ist?
Aschauer: Das trifft eher auf die Krankenhausseelsorge zu. Im Altenheim ist das schwieriger, wo über die Hälfte der Bewohner/innen an Demenz leiden. Da steht man mit den digitalen und auch den eher symbolischen Formen der Kommunikation bald an. Im Altenheim braucht es vielmehr den ganz persönlichen Kontakt, die unmittelbare Nähe und das Berührtwerden, zum Beispiel durch das Anschauen, durch das Ansprechen mit Namen, durch das miteinander Reden oder dadurch, dass man den Menschen auf die Schulter greift, die Hand hält oder ein Kreuzzeichen auf die Stirn gibt.
Wie gehen die Altenheimseelsorger/innen mit ihren cornonabedingten Erfahrungen um?
Aschauer: Wir müssen den Platz, den die Seelsorge im Gesamt der Pflege und Betreuung alter Menschen einnehmen soll, neu klären. Nicht so sehr der Seelsorge wegen, sondern um der betroffenen Menschen willen. Denn eines hat uns Corona schon gezeigt: In gesellschaftlichen Stresszeiten wird der alte Mensch sehr eindimensional gesehen. Da wird er, vielleicht zu schnell, seiner Seele und seines Geistes beraubt.
Was soll man konkret tun?
Aschauer: Auch in Krisenzeiten gilt es, die Würde pflegebedürftiger alter und dementer Menschen zu betonen und zu wahren.
Was meinen Sie damit?
Aschauer: In den allermeisten Heimen Oberösterreichs werden die Bewohner/innen nach den Standards der Palliativpflege betreut. Dabei ist zum Beispiel die Seelsorge ein fixer Bestandteil. Ohne Wenn und Aber. Ein Betretungsverbot für Seelsorger ist für das Palliativpflegekonzept ein Widerspruch in sich. So gesehen ist das Virus so groß geworden, dass es den Blick auf vieles verstellt hat.
Wie soll es nun weitergehen?
Aschauer: Wir brauchen Ansprechpartner aus Gesellschaft und Politik, die diesen Weg künftig gehen: dass Seelsorge fix in das Gesamt der Pflege eingebunden ist. Seelsorge ist mehr als ein Systempartner, Seelsorge gehört in einem Altenheim einfach dazu. Natürlich sind das Fragen, die die ganze Kirche in Österreich betreffen und den Einsatz aller Bischöfe brauchen.
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