Punkt 13 Uhr wird in der Pfarre Hl. Familie in der Linzer Bürgerstraße 58 die Tür geöffnet. Kinder im Alter von sechs bis 15 Jahren strömen in den Pfarrsaal. Zuerst kommen die überpünktlichen Volksschulkinder, nach und nach auch die Älteren, die in den Mittelschulen und Gymnasien längere Schultage haben. Die ehrenamtlichen Betreuer:innen unterhalten sich mit den Kindern, schnell merkt man, das Lerncafé ist ein willkommenes Angebot für die Kinder, die Atmosphäre zwanglos und entspannt.
Gerade das Ankommen soll für die Kinder so angenehm wie möglich sein. „Viele von ihnen kommen aus sehr großen Familien: vier, fünf Geschwister zu Hause, viele Probleme, finanzielle Schwierigkeiten. Oft haben sie zu Hause kaum einen Ansprechpartner, weil die Mutter überfordert ist oder der Vater vielleicht lange arbeitet“, erzählt Standortleiterin Bogdana Jimenez-Florescu.
Vor etwa acht Jahren hat das Lerncafé in der Bürgerstraße seine Pforten zum ersten Mal geöffnet. Damals war es ein Angebot exklusiv für Flüchtlingskinder, deren Familien gerade erst nach Österreich gekommen waren und die teilweise kein Wort Deutsch sprachen. Heute ist das Sprachniveau gemischt. Kinder aus den unterschiedlichsten Lebenslagen kommen zusammen, die einzige Schnittmenge ist der Migrationshintergrund.
Der Pfarrsaal der Pfarre Hl. Familie ist geteilt. In jedem der beiden so entstandenen Räume arbeitet eine Gruppe, insgesamt sind es zwischen 15 und 20 Kinder. Hier werden Texte gelesen, dort hantieren Schüler:innen mit Zirkel und Geodreieck und sogar für die anstehende Fahrradprüfung wird gelernt. Möglich wird das, weil für diese beiden Gruppen ausreichend Betreuer:innen zur Verfügung stehen.
Die andere Seite ist: Fast 20 Kinder stehen auf der Warteliste – alleine für das Lerncafé in der Bürgerstraße. Die Gruppen werden nicht vergrößert, um die Betreuungssituation nicht zu verschlechtern und die Qualität garantieren zu können. Trotz der grundsätzlich wachsenden Zahl an Lerncafés in Österreich liegen Angebot und Nachfrage noch weit auseinander. „Ich bekomme fast täglich einen Anruf: von Eltern, Schuldirektoren, Lehrer:innen – allen möglichen Stellen“, sagt Jimenez-Florescu. Im Lerncafé in Linz-Auwiesen sei es nicht anders. Es liege schlussendlich an der Politik, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Neue Standorte seien ohne spezielle zusätzliche Förderungen nicht realistisch.
Ein Teil der Probleme, mit denen die Schüler:innen im Lerncafé zu kämpfen haben, geht auf die Coronapandemie zurück. Diese hat ungleich verteilte Chancen aufgezeigt und die Bildungslücke weiter auseinanderklaffen lassen.
Unterricht wurde in die eigenen vier Wände verlegt. „Oft hat die Mama telefoniert, daneben gekocht, ein Baby schreit und die zwei Älteren müssen die Hausübung erledigen oder für einen Test lernen“, erinnert sich die Standortleiterin.
Das Lerncafé wirkt für die Kinder fast wie ein zweites Zuhause. Die Betreuer:innen sind wie eine Mischung aus Freunden und Familie, die nicht nur bei der Hausübung helfen, sondern denen die Kinder auch private Probleme anvertrauen können.
Der Volksschüler Lion kommt aus dem Kosovo. Als er ein Gespräch mit der neuen Betreuerin Leonora, einer Psychologiestudentin mit ebenfalls kosovarischen Wurzeln, mithört, geht der schüchtern wirkende Schüler gleich freudig auf sie zu. „Du bist auch aus dem Kosovo?“, strahlt er. So kommt der Kontakt zu der Betreuerin schnell zustande.
Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer:innen würde die Aktion „Lerncafé“ stillstehen, so viel ist klar. „Wir haben auch Leute, die seit acht Jahren mitmachen. Es kommt sogar vor, dass mehrere Mitglieder einer Familie kommen und helfen.“ Für Bogdana Jimenez-Florescu ist das alles andere als selbstverständlich. Besonders toll findet sie das Zusammenkommen von Menschen aus unterschiedlichen Berufen. „Die Ehrenamtlichen sind bunt gemischt, das gibt den Kindern die Möglichkeit, Einblicke in die verschiedensten Berufe zu bekommen und vielleicht eine Antwort auf die Frage zu finden: Was kann ich weitermachen?“, erzählt die Standortleiterin.
Johanna Wageneder zum Beispiel ist pensionierte Krankenschwester. Zuerst sitzt sie der Volksschülerin Merav gegenüber, dann steht sie auf und schaut ihr konzentriert über die Schulter, während Merav die Aufgabe bewältigt. „Es liegt mir am Herzen, Gutes zu tun, und ich sehe einfach, dass es da so viel Bedarf gibt“, sagt Wageneder. Die Betreuer:innen nehmen von ihrem Einsatz im Lerncafé Geschichten von überwundenen Hindernissen mit. Trotz der herausfordernden Lebenssituationen arbeiten die Kinder und Jugendlichen mit viel Einsatz daran, ihre Träume zu verwirklichen.
Auch kulturell sollen die Kinder so viel wie möglich kennenlernen. Von Spendengeldern können Ausflüge in den Dom, den Botanischen Garten oder Museen finanziert werden, Orte, welche die Kinder sonst vermutlich nicht sehen würden. „Gerade deshalb sind die Lerncafés so wichtig, weil die Kinder unglaublich profitieren. Sie lernen hier nicht nur für die Schule“, erklärt Bogdana Jimenez-Florescu.
Die Lernzeit ist vorbei, die Schüler:innen verstauen Hefte und Bücher in ihren Schultaschen. Die restliche Zeit im Lerncafé ist Spiel und Spaß gewidmet. Dazu gehört heute auch Eis für alle. Die Kinder lassen es sich schmecken – und ihre Betreuer:innen auch.
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