„Für mich ist das Wesentliche, dass man eine Beziehung zueinander bekommt und ein gemeinsames Ziel hat“, sagt Marion Eberl. Sie ist eine der Geschäftsführer:innen der Arge für Obdachlose und betreut seit 2016 nebenbei über den Verein Neustart straffällig gewordene Menschen. Als Ehrenamtliche bekommt sie die „leichteren“ Fälle zugeteilt, bestimmte Delikte wie Sexualstraftaten, schwere Gewalttaten, bedingt entlassene Mörder:innen oder Klient:innen mit hohem Rückfallsrisiko sind den Hauptamtlichen vorbehalten. In Berührung kommt Eberl dafür mit Suchtmittelgesetz-, Vermögens- und Gewaltdelikten oder dem Verbotsgesetz.
Gemäß dem Neustart-Motto „Ächte die Tat und achte den Täter“ beschäftige sie sich weniger mit dem Fall als solchem als vielmehr mit der Person, die bei den regelmäßigen Treffen vor ihr sitzt. „Besonders beim ersten Termin geht es einmal darum, sich gegenseitig kennenzulernen und zu erklären, wie die Zusammenarbeit abläuft.“ Diese dauert im Regelfall drei Jahre und ist „eine Arbeitsbeziehung, keine Freundschaft“, betont Josef Landerl, Leiter von Neustart in Oberösterreich. „Die Klient:innen kommen ja nicht freiwillig zu uns, sondern werden vom Richter geschickt.“
Gemeinsam mit der straffällig gewordenen Person entwickelt Marion Eberl ein Ziel und „Bilder davon, wo der Mensch hin will. Im Regelfall sagt keiner, er möchte noch eine Bank ausrauben, sondern er will nicht ins Gefängnis. Meist wollen sie ganz normale Dinge wie heiraten, Kinder bekommen, ein Haus haben oder einen Hund. Oder einfach einen Job, der Spaß macht. Haben wir dieses Bild vor Augen, überlegen wir gemeinsam, was es dafür braucht, dieses Ziel zu erreichen.“
In der darauffolgenden Zeit trifft sich Marion Eberl immer wieder mit der Klientin oder dem Klienten im Neustart-Büro, in einem Café oder auch bei der Klientin, dem Klienten zu Hause. „Besonders gerne gehe ich mit ihnen spazieren, weil da Dinge leichter in Fluss kommen und weil auch das Schweigen leichter zu ertragen ist.“ Wenn gewünscht, begleitet sie ihre Schützlinge auch zu Terminen bei der Schuldnerberatung, der Psychotherapie oder dem Gericht.
Obwohl positive Erlebnisse überwiegen, laufe die Betreuung der Klient:innen nicht immer konfliktfrei ab, erzählt Marion Eberl: „Es gab einen Klienten, dessen Betreuung sehr intensiv und anstrengend war. Einmal gab es auch ein Schreiben, in dem er Drohungen aussprach. Das war schon heftig und sehr überraschend.“ Auch wenn Derartiges nicht häufig vorkomme, sei es von Vorteil, als Bewährungshelfer:in selbst gefestigt im Leben zu stehen, eine hohe Frustrationstoleranz zu haben und mit Aggressionen und Widerstand gut umgehen zu können.
Gleichzeitig brauche es Offenheit und Respekt gegenüber Menschen, sagt Josef Landerl: „Man muss Menschen mögen und die Haltung vertreten, dass jede:r eine zweite Chance verdient hat.“ Der Vorteil bei Neustart sei, dass man immer jemanden anrufen könne, wenn man an seine Grenzen stößt. Außerdem gibt es eine Aufwandsentschädigung. „Man kann sich damit etwas dazuverdienen, aber die Hauptmotivation sollte es nicht sein“, betont Landerl.
Marion Eberl weiß genau, warum sie nach sieben Jahren immer noch gerne als ehrenamtliche Bewährungshelferin arbeitet: „Es ist extrem interessant, in andere Lebenswelten einzutauche – in Lebenswelten, die man sonst nicht kennenlernt. Manches macht mich dann ein wenig demütig, wenn ich merke, welchen Rucksack Menschen zu tragen haben. Und wie sie letztendlich trotzdem in irgendeiner Form ihr Leben meistern.“
Ein besonders Erlebnis mit einem Klienten rühre sie bis heute: „Der Klient, der damals etwas über 20 Jahre alt war, schilderte eine sehr schwierige und von psychischer und physischer Gewalt geprägte Beziehung zu seinen Eltern. Er konnte sich nicht erinnern, einen wertschätzenden und konstruktiven Austausch über Konflikte oder sonstige Themen, die ihn beschäftigten, erlebt zu haben. Und er hatte als Kind und Jugendlicher selten das Gefühl, ‚richtig‘ zu sein.“ Im Rahmen der Bewährungshilfe besprach Marion Eberl jene Themen mit ihm, die ihn belasteten und suchte nach möglichen Erklärungen für bestimmte Verhaltensweisen (wie Gewaltanwendung als Konfliktlösung). In Gesprächen und auch Rollenspielen wurde erarbeitet, wie der Klient in solchen Situationen reagieren kann. „Das war nur möglich, weil er genug Vertrauen hatte, sich darauf einzulassen, was er mir auch rückmeldete. Und zum letzten Termin kam er mit einem Blumenstrauß, was für mich wirklich rührend war.“
Trotz einer intensiven Bewährungshilfe-Beziehung sei es wichtig, dass mit dem Abschlussgespräch nach den drei Jahren ein klarer Schlussstrich gezogen werde: „Auch wenn es schwer fällt, muss man sich darüber im Klaren sein, dass mit dem Ende der Bewährungshilfe auch der Kontakt endet, weil der Auftrag erfüllt ist.“
Der Verein Neustart ist seit mehr als 60 Jahren aktiv. 70 Prozent der Klient:innen werden in der Zeit, in der sie von Neustart betreut werden, nicht mehr rückfällig.
Neustart sucht ehrenamtliche Bewährungshelfer:innen, derzeit vor allem in Linz, Wels und Steyr.
Infos: www.neustart.at
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