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Den Freund zu fragen: „Wie geht es dir?“, wenn man weiß, dass er gerade die Diagnose „Krebs“ erhalten hat, das klingt einfach nicht passend. Man möchte aber reden und nicht schweigend darüber hinweggehen. Nur: Wie fängt man an?
Trauer, Abschied, Trennung oder Krankheit rütteln das Leben eines Menschen völlig durcheinander. Nichts ist wie früher. Und gerade weil man in einer kritischen Lebenssituation steckt, verhalten sich manche Freunde und Bekannte irgendwie anders. Oft sicher nicht in böser Absicht, sondern weil alle einfach sprachlos sind und nicht wissen, wie sie mit dem „heiklen Thema“ umgehen sollen.
Kommt dann der Freund und fragt: „Magst du spazieren gehen?“ oder: „Treffen wir uns zum Kaffee?“, gibt das den Betroffenen wieder ein Stück Sicherheit. Ein langjähriges Ritual wird aufgegriffen und zum Reden genützt. Damit signalisiert jemand: „Du bist mir wichtig, ich möchte gerade jetzt, wo es dir nicht so gut geht, Zeit mit dir verbringen.“ Für Trauernde und Kranke sind das echte kleine Glücksmomente in einer schwierigen Zeit.
„Über Schweres reden ist für niemanden einfach, aber man kann sich vorher überlegen, welche Gemeinsamkeiten oder Hobbyss man aufgreifen könnte“, rät Psychotherapeut Erwin Puttinger. Der passende Schlüssel kann ganz banal sein. Selbst ein vertrautes „Gehen wir auf ein Bier?“ ist als Anbahnung für ein Gespräch erlaubt. Warum denn nicht? Schließlich kann man sich auch dabei in angenehmer und gewohnter Atmosphäre gut austauschen.
Aber schon ein einfaches „Magst reden?“ überwindet anfängliche Unsicherheit und Sprachlosigkeit.
Hinterbliebene brauchen neben ihrer Trauer wieder ein Stück Alltag. Kranke wollen nach Möglichkeit ihre Kontakte aufrechterhalten. Sie alle brauchen Begegnungen, Zuwendung, Interesse und auch Ablenkung. „Mitleid, gute Ratschläge oder gar Voyeurismus kommen nicht gut an und sind eher respektlos. Man sollte sich aber durchaus trauen, Fragen zu stellen“, meint Puttinger.
Wenn man unsicher ist, hilft es, sich selbst zu fragen: „Wie würde es mir in dieser Situation gehen? Wie würde ich die Welt sehen? Was würde mir guttun? Was möchte ich dann nicht?“
Vielleicht ist ein Theaterbesuch oder ein Ausflug genau richtig. Man verbringt gemeinsam Zeit, genau „wie vorher“. Dabei darf und soll man das schwere Thema auch einmal ausklammern und einfach über Politik oder das Wetter sprechen. „Vor allem bei einem kranken Menschen sollte man darauf achten, dass man ihn körperlich nicht überfordert. Nach einer Operation oder einem Unfall ist man schneller müde. Das ist eben doch anders als früher“, gibt Puttinger zu bedenken.
Oftmals wird unterschätzt, wie lange Menschen nach dem Verlust des Partners oder der Partnerin tatsächlich trauern. Ganz besonders schlimm ist es, wenn der oder die Angehörige den Weg in den Tod selber gewählt hat. Zur Trauer kommen dann Schock und Schuldgefühle. Hier sind viel Einfühlungsvermögen und auch Geduld hilfreich.
„Bei kranken Menschen habe ich die Erfahrung gemacht, dass Kontakte bei akuten Krankheiten oder Operationen schneller eine positive Wirkung zeigen, als jene bei chronischen Erkrankungen. Hier braucht es oft viele Gespräche, um den Betroffenen wieder etwas aufrichten zu können“, erzählt der Psychotherapeut aus seiner langjährigen Paxis.
Es ist auch für Seelsorger/innen sowie Therapeutinnen und Therapeuten immer wieder eine Herausforderung, mit Hinterbliebenen oder schwer kranken Menschen wertvolle Gespräche zu führen. „Eine kleine Hilfe ist da doch der Beruf, an den bestimmte Erwartungen geknüpft sind. Man hat eine Vorstellung, wie ein Priester oder ein Psychologe reden und agieren wird. Zumindest der Beginn eines Gespräches ist somit fast vorgegeben und etwas leichter.“
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