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Es sind nicht nur die Genetik und die Geschlechtsorgane, die den weiblichen Körper von dem der Männer unterscheiden. Herz, Kreislauf, Stoffwechsel – viele Körperfunktionen sind bei den beiden Geschlechtern unterschiedlich, Krankheiten äußern sich durch verschiedene Symptome, und Medikamente wirken anders. „Die Gender- oder personalisierte Medizin erforscht biologische und psychosoziale Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die sowohl das Gesundheitsbewusstsein als auch die Entstehung und Wahrnehmung von Krankheiten und den Umgang damit betreffen“, weiß Apothekerin Barbara Übermaßer.
Gravierende Unterschiede in Diagnose und Therapie findet man bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Männer haben laut Statistik bessere Überlebenschancen bei einem Herzinfarkt, da ihre Symptome schnell erkannt werden.
Der stechende Brustschmerz, der in den linken Arm ausstrahlt, gilt als typisch und gut zuzuordnen. „Atypisch“ sind hingegen die häufigsten Herzinfarkt-Symptome bei Frauen: Atemnot, Übelkeit, Schweißausbruch und Schmerzen im Oberbauch. Da es gerade beim Herzinfarkt auf ein rasches Erkennen und schnelles Handeln ankommt, verliert man mit einer Fehldiagnose wertvolle Zeit. Stellt man fälschlicherweise Magenprobleme statt eines Herzinfarkts fest, ist dies absolut lebensbedrohlich. Diabetes ist ein weiteres Beispiel. Bei Frauen erhöht ein Schwangerschaftsdiabetes das Risiko für Typ-2-Diabetes um das Siebenfache.
Äußerlich am einfachsten ist meist der Unterschied bei Größe und Gewicht auszumachen. Dem entsprechen dann auch eine kleinere Lunge und ein kleineres Herz sowie weniger Blut. Frauen haben oft weniger dichte Knochen und weniger Muskelmasse. Fett- und Wasseranteile im Körper verteilen sich bei Mann und Frau unterschiedlich. Zwar neigen Frauen dazu, ein stärkeres Abwehrsystem zu entwickeln, sie sind aber dafür häufiger von Allergien und Autoimmunkrankheiten betroffen.
„Männer und Frauen unterscheiden sich sowohl im Körperbau als auch hormonell. Dies hat zur Folge, dass Medikamente oftmals unterschiedlich wirken“, erklärt Barbara Übermaßer. Insbesondere die weiblichen Sexualhormone haben Auswirkungen auf den Stoffwechsel und die Ausscheidung von Arzneimitteln.
Auch die Nebenwirkungen können unterschiedlich ausfallen. Ideal sei eine individuelle Dosierung der Wirkstoffe, abhängig von Geschlecht, Körpergewicht und Alter, so die Expertin.
Die Gendermedizin hat sich zum Ziel gesetzt, die Wirkung der Medikamente zukünftig nach Geschlechtern getrennt zu betrachten und mehr Frauen in klinischen Arzneimittelstudien zu berücksichtigen. „Geschlechtsspezifische Dosierungsempfehlungen bei Neuzulassungen und eine Anpassung bereits zugelassener Medikamente sollen in Zukunft eine präzisere, individuell abgestimmte Therapie ermöglichen“, hofft Übermaßer.
„Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu.“ (Gen 2,22)
Schon die Bibel kennt die Darstellung, dass die Frau nach dem Ebenbild des Mannes geformt sei. Diese Vorstellung war auch in der Medizin bis ins 20. Jahrhundert üblich. Abgesehen von der Fähigkeit zu gebären galt die Frau als kleineres und leichteres Modell des Mannes. Medizinische Studien wurden an Männern gemacht, die Ergebnisse galten selbstverständlich auch für Frauen. Es wurde gar nicht erst untersucht, ob Frauen bei Medikamenten eine andere Dosis oder gar andere Wirkstoffe brauchen. „Frauenmedizin“ beschränkte sich auf die Bereiche Gynäkologie und Geburtshilfe.
Dann brachten in den 1960er-Jahren des 20. Jahrhunderts viele Frauen Kinder mit Missbildungen zur Welt, und das Schlafmittel „Contergan“ stand als Ursache fest. Als Reaktion und Angst vor weiteren gesundheitlichen Folgen wurden Frauen generell von medizinischen Versuchsreihen ausgeschlossen. In den 1990er-Jahren häuften sich allerdings Studien, die eine unterschiedliche Wirkung von Medikamenten auf Frauen und Männer nahelegten.
In Österreich gibt es in Wien und in Innsbruck Professuren für „Gendermedizin“ an den medizinischen Fakultäten. In den Spitälern, bei Ärzteschaft und in der Gesellschaft ist die geschlechtsspezifische Behandlung von Frauen allerdings noch nicht Normalität bzw. Thema.
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