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Viele Menschen sammeln und würden dennoch nie als Messie bezeichnet werden. „Der grundlegende Unterschied liegt darin, dass Sammler gezielt bestimmte Dinge in ihren Besitz bringen und das auch gerne herzeigen. Ein Messie hingegen ist nicht stolz auf die gehorteten Gegenstände, die seine Wohnung blockieren“, erzählt Messie-Expertin Kerstin Karlhuber und ergänzt: „Eine Grenze ziehen muss man auch zu jenen Menschen, die nach erlebter Kriegserfahrung Dinge wie Lebensmittel in großen Mengen lagern.“
Die Bezeichnung „Messie“ leitet sich vom englischen „mess“ ab, was übersetzt Unordnung bedeutet. In der Wohnung eines Messies kann man alles finden, von technischen Apparaten bis hin zu Bekleidung, Kosmetika und Lebensmitteln. „Manche haben dazu auch noch viele Katzen oder andere Tiere. Da ist das Hygieneproblem dann schon sehr groß“, erzählt die Expertin. Nicht selten nächtigen Messies außerhalb ihrer Wohnung, weil sie nicht mehr zum Bett kommen oder die Sanitäranlagen kaputt sind.
Messie sein ist ein Symptom. „Dahinter steckt eine psychische Grunderkrankung, oft sind das Depression und Antriebslosigkeit, Zwänge und ritualisierte Abläufe, bei älteren Menschen kann es auch beginnende Demenz sein“, erklärt Karlhuber. Aus ihrer persönlichen Biografie heraus, etwa nach einer lieblosen Kindheit, haben diese Menschen ein brüchiges Selbstwertgefühl. Mit dem Kaufen und Horten versuchen sie das zu kompensieren. „Wenn sich etwa ein erwachsener Mann in einem 1-Euro-Shop fünfzig oder mehr Kinder-Schlüsselanhänger kauft, deutet das schon auf eine frühkindliche Störung hin“, so die Psychotherapeutin.
Für Angehörige ist es eine schwere Gratwanderung, da die Betroffenen meist keine Hilfe annehmen wollen. Scham und Angst herrschen vor und sind auch nur schwer abzubauen. Außerdem sind Messies oft extreme Perfektionisten. „Anstatt aufzuräumen sortieren sie Teepackerl nach der Farbe, wollen nicht zu viele Müllsäcke verschwenden oder verlieren sich in anderen Details“, erzählt Karlhuber aus ihrer Erfahrung. Trotzdem kann man als Angehöriger klarstellen: „Du kannst nicht erwarten, dass ich nur zuschaue!“ Man sollte sich nicht scheuen, Unterstützung von geschulten Helfer/innen zu suchen.
„Bei uns gibt es seit zwei Jahren eine Selbsthilfegruppe. Anfangs waren wir skeptisch, wie das Angebot angenommen wird“, sagt Karlhuber, „aber die Menschen nutzen die Möglichkeit sich auszutauschen und kommen ein bisschen aus ihrer sozialen Isolation heraus.“ Ein erster Schritt. „Leider gibt es solche Angebote viel zu wenig“, bedauert die Expertin und regt zur Nachahmung an. Denn die Problematik gibt es überall, Schätzungen zufolge sind drei Prozent der Bevölkerung davon betroffen.
Messie-Fachtag: „Wenn einem alles über den Kopf wächst.“ Fachvorträge mit anschließender Talkrunde für Betroffene und Fachpersonal. Eine Veranstaltung von EXIT-sozial.
Donnerstag, 25. Oktober, 13 bis 17 Uhr, Wissensturm Linz, 5. OG.
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