Wort zum Sonntag
Behutsam taucht Johann Obermayr die Truthahnfeder in die schwarze Tinte, setzt vorsichtig auf dem Papier auf und malt, von rechts nach links, einen hebräischen Buchstaben nach dem anderen. 304.805 solcher Buchstaben braucht es für eine Torarolle, 261 Spalten hat die, die Johann Obermayr selbst geschrieben hat.
Die Tora ist der zentrale Teil der hebräischen Bibel und enthält die fünf Bücher Mose. Ungefähr ein Jahr und sieben Monate arbeitete der 75-jährige Obermayr fast täglich an seiner Torarolle. „Außer am Sabbat, am Samstag, machte ich frei“, lacht er.
Als er aus Interesse die Freikirche der Adventisten besuchte, hörte Obermayr, dass alle, die sich mit dem Neuen Testament befassen, auch die Tora kennenlernen sollten. Denn auch Jesus war Jude, las aus der Tora und lebte nach ihren Geboten. Das Christentum ist daher ohne die hebräische Bibel nicht zu verstehen. Deshalb nahm sich Johann Obermayr den Aufruf der Adventisten zu Herzen und begann vor etwa drei Jahren, sich im Internet über die hebräische Schrift zu informieren. „Das müsste ich eigentlich auch können“, dachte der gelernte Malergeselle damals und zeichnete die ersten Buchstaben ab.
Im Judentum wird eine Tora von einem speziellen Schreiber, dem Sofer, per Hand und nach genau festgelegten kultischen Regeln geschrieben. Davon ist Obermayr natürlich weit entfernt. Statt Pergament verwendete er Elefantenhautpapier, aber die Tinte mit Honig brachte ihm der frühere Leiter des Linzer Bibelwerks, Franz Kogler, aus Israel mit.
Noch etwas hat sich Obermayr von den jüdischen Soferim abgeschaut: Bevor er den Namen Gottes schreibt, heiligt er ihn mit einem kurzen Gebet. Seit er vor 25 Jahren wegen einer Hepatitis-C-Infektion eine Lebertransplantation hatte, wurde er immer gläubiger. „Ich möchte dem Herrn danken, dass ich das überlebt habe.“ Auch deshalb wollte er die Tora schreiben.
Schon als Kind interessierte sich Johann Obermayr für Schriften, eigentlich wollte er eine künstlerische Laufbahn einschlagen, aber in einer Großfamilie mit acht Kindern war das nicht möglich. „Werde Zimmermaler und Anstreicher, da kannst du auch malen“, hatte der Vater gesagt und so geschah es dann auch. Während seiner Ausbildung ermöglichte ihm sein Chef zwar in den weniger arbeitsintensiven Wintermonaten ein Praktikum bei einem Schriftenmaler, doch er blieb bis zu seiner Pensionierung in seinem angestammten Beruf.
Mit Freude zeigt Obermayr die fertige Tora und rollt sie vorsichtig aus. „Mich begeistert das gesamte jüdische Leben“, erzählt er. Schon als Kind faszinierte ihn Hebräisch, das er vom Onkel, der Priester war, hörte. „Ich kann natürlich besser schreiben, als ich das Hebräische aussprechen oder verstehen kann“, gibt er zu. Um das zu ändern, hat er von Franz Kogler ein hebräisches Buch geborgt bekommen, das ihm die jüdische Welt ein Stück weit erschließt. „Wenn ich nicht schreibe, lese ich darin.“
Auch Erfahrungen aus der jüdischen Gemeinde waren dem gebürtigen Urfahraner deshalb wichtig und er schickte dem Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Schlomo Hofmeister, eine Leseprobe seiner Schriften. „Wunderbar geschrieben, Hans. Ich kann alles lesen“, antwortete Hofmeister. Das sei natürlich ein besonderes Lob gewesen.
Dennoch können Fehler in der sorgfältigen Arbeit von Obermayr entstehen. Kleine kratzt er vorsichtig mit einem Messer weg, bei größeren müssen ganze Spalten entfernt werden. Die unbrauchbaren Stücke wirft er dabei nicht in den Papierkorb, sondern bewahrt sie in einem Tongefäß auf. In der jüdischen Tradition müssten sie begraben werden, erzählt er.
Aus einem Kaufangebot für seine Torarolle wurde letztendlich nichts. Doch Johann Obermayr stört das nicht: „So bleibt diese Tora vorerst in meinen Händen.“
Wort zum Sonntag
Turmeremitin Birgit Kubik berichtet über ihre Woche in der Türmerstube hoch oben im Mariendom Linz >>
Die KIRCHENZEITUNG bietet vielfältige Angebote für Pfarren:
Jetzt die KIRCHENZEITUNG 4 Wochen lang kostenlos kennen lernen. Abo endet automatisch. >>