Dietmar Steinmair ist Geschäftsführer des Katholischen Bildungswerks Vorarlberg und Teamleiter im Pastoralamt der Diözese Feldkirch.
Ein Becher, in dem sich Fineliner aller Farben befinden, eine Füllfeder und ein Schreibbuch im A4-Format – das ist die Grundausstattung, die Beatrix Penninger aus Wolfsegg am Hausruck benötigt. Tag für Tag führt sie – sie arbeitete bis zur Pensionierung als Sekretärin – Tagebuch. Wobei Tagebuch nur ungenau charakterisiert, was sie tatsächlich tut. Beatrix Penninger versteht sich als Chronistin und verdeutlicht ihre Beschäftigung mit einem Bild: „Das ist, wie wenn man einen Zopf aus Germteig mit drei Strängen macht.“ Der erste Strang besteht aus den Erlebnissen des Alltags, der zweite aus den Ereignissen der Welt draußen und der dritte Strang ist die Bibel.
Also alles, was ihr Leben ausmacht, gehört ins Tagebuch, betont sie: „Das beginnt mit dem Leben vom Innersten her, vom Gebet und der Beziehung zu Gott und führt weiter über die Familie sowie ihren Wohnort in die weite Welt.“ Jeder der drei Stränge hat in ihrem Tagebuch seinen unverzichtbaren Platz: „Ich bin ein politischer, religiöser und künstlerisch interessierter Mensch.“
Damit man sich vorstellen kann, was sie meint, schlägt sie ihr aktuelles Tagebuch auf. Da fällt gleich einmal ein Abschnitt von rund einer halben Seite ins Auge, den sis aus der Heiligen Schrift abgeschrieben hat. Tagebuch schreibt Beatrix Penninger seit Ende der 1980er-Jahre. Da kam din. Mutter von vier Kindern aber noch nicht regelmäßig dazu. Als sie nach Abschluss des Kurses „Franziskanisch leben“, den sie 2013 bei den Franziskanerinnen in Vöcklabruck absolviert hat, eine Leere spürte, ist sie in einer Zeitschift auf die Anregung gestoßen, die Bibel abzuschreiben. Das hat sie aufgegriffen und nach etwa mehr als einem Jahrzehnt sagt sie: „Ich habe schon fast das gesamte Alte und Neue Testament vollständig abgeschrieben. Nur aus dem Buch der Sprichwörter und aus Jesus Sirach fehlt mir noch etwas.“
Ursprünglich wollte sie von Seite eins an die Bibel abschreiben, aber sie hat dann immer wieder neu ausgewählt und sehr viel schon zweimal geschrieben. Manches wie die Kindheitsgeschichten des Lukas sogar schon mehrmals – jeweils in der Weihnachtszeit. Andere Bücher wie das Buch der Makkabäer dagegen nahm sie nur einmal zur Hand. Aber sie hat die Erfahrung gemacht, dass sich in allen biblischen Texten Perlen befinden: „Für diese Sätze lohnt sich das Abschreiben.“ Das Schreiben der Heiligen Schrift ist für sie ein Begegnungsgeschehen mit Gott, wie sie es selbst nennt. Zu Gebet und Kirchenbesuch, der Beatrix Penninger sehr wichtig ist, kommt die Beschäftigung mit der Bibel noch als ein spirituelles Element dazu, das ihren Glauben stärkt: „Das ist Gottes Geschenk an mich: dass er oder sie mich nicht loslässt. Ich bin dankbar, dass ich so leben kann.“ Aktuell schreibt sie am Markusevangelium, den Abschnitt vom Sonntag hat sie in Grün abgefasst: „Das ist meine Lieblingsfarbe und darum die Sonntagsfarbe.“ Als Vorlage verwendet sie die Lutherbibel, an der sie auch die erklärenden Anmerkungen sehr schätzt. Diese sind ihr Anstoß zum Weiterdenken und weiterformulieren. So hat sie zur Erzählung von der Enthauptung Johannes des Täufers durch Herodes Antipas angemerkt: „Nein, das schmeckt den hohen Herren nicht, dass ihnen wer widerspricht ...“ Sie hat aber auch den Mut festzuhalten, was sich ihr nicht erschließt. Zur Heilung des Besessenen von Gerasa hat sie notiert: „Diese Geschichte spricht nicht zu mir. Das ist ein völlig anderer Kulturkreis.“
Neben den mit beneidenswerter schöner Handschrift verfassten Bibeltexten fallen im Tagebuch eingeklebte Zeitungsausschnitte auf. Aus der Kirchenzeitung, den Oberösterreichischen Nachrichten, aus Standard, Salzburger Nachrichten und manch anderen Zeitschriften schneidet sie aus, was sie bewegt. Nur persönliche Erfahrungen, Ereignisse der Familie und das Geschehen im Ort aufzuzeichnen, wäre für sie ein zu enger Horizont. „Schauen Sie“, sagt sie und zeigt auf einen einspaltigen, kurzen Beitrag: „So ein kleiner Artikel über den Sudan und so eine große Katastrophe.“ Man hat Respekt, wie sie über die Grenzen schaut. Alles, was sie berührt – Artikel zur Neutralität, dem Ärzteproblem oder die USA – alles bekommt in ihrem Tagebuch Platz.
Nach rund einem Monat ist ein Schreibbuch immer voll. Sechs bis acht Seiten füllt sie täglich. Da ihre Handgelenke durch ein langes Berufsleben lädiert sind, schreibt sie abwechselnd mit der rechten und linken Hand – damit keine über Gebühr angestrengt wird. So füllen inzwischen die von Beatrix Penninger voll geschriebenen Tagebücher mehr als fünf Laufmeter am Bücherregal. Vielleicht werden sich einmal die fünf Enkelkinder für ihre Aufzeichnungen interessieren, antwortet sie auf die Frage, für wen sie schreibt: „Wenn sie etwas wissen möchten, sollen sie es finden.“ Aber das ist nicht das Entscheidende: „Das Schreiben macht etwas mit einem. Es klärt sich viel.“ Das Tagebuchschreiben stärkt vor allem das Vertrauen in das Leben und darum sagt sie voll Dankbarkeit: „Ich bin privilegiert, dass ich Zeit habe und dass ich gesund genug bin, das machen zu dürfen.“

Dietmar Steinmair ist Geschäftsführer des Katholischen Bildungswerks Vorarlberg und Teamleiter im Pastoralamt der Diözese Feldkirch.
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