Wort zum Sonntag
Eine ganze Woche lang frei – bis zum achten Tag nach Ostern. Ab dem 4. Jahrhundert war es so. Die nachösterliche Woche – „Osteroktav“ genannt – war eine Festwoche, die gleich an die Karwoche anschloss. So hoch hielten die Christinnen und Christen diese Tage, dass sie die Arbeit ruhen ließen. Drei knappe österliche Tage – von Ostersonntag bis -dienstag – sind später davon übrig geblieben. Osterferien bis Dienstag. Das ist noch ein Rest davon. Aber in den nördlichen Breiten wollte man sich ein so langes Ruhen und Feiern nicht mehr gönnen. Heute steht sogar der Ostermontag, als letzter Rest der ursprünglichen besonderen österlichen Tage, zur Diskussion. Die Osterfreude bedeutet der Gesellschaft nicht mehr so viel.
Noch viel mehr Raum gönnte man der Osterfreude in früheren Zeiten. Ganze 50 Tage kannte sie keine Zurückhaltung – bis Pfingsten. Den Erfordernissen und Wünschen der Seele räumte man den Vorrang vor wirtschaftlichem Ertrag ein. Fasten war in diesen 50 Tagen verboten, denn vorbei war die Zeit des Schmerzes, vorbei die Trauer. Dass die Zeit der Tränen ein Ende hat, ist nicht bloß Augenauswischerei. Jesus, mit ihm die ganze menschliche Hoffnung, lebt.
Und er ist den Jüngern erschienen. Völlig unvermutet und wider jede Erwartung. Dieses Ereignis steht im Mittelpunkt dieses zweiten österlichen Sonntags – zusammen mit der Erzählung von Thomas, der es genau wissen wollte und seine Hand an die Seitenwunde Jesu legen durfte.
Freudentränen statt Schmerzenstränen. Das ist die neue Zeit nach Ostern. Jetzt galt es für die Jünger, aus Eigenem heraus zu leben, was sie in der Schule Jesu erlebt und gelernt hatten. Wie die Jünger Jesu plötzlich ohne ihren Meister dastanden und auf eigenen Beinen ihren Glauben zu leben hatten, so wird es jeder Christin und jedem Christen auch heute zugemutet.
Ein klein wenig mag es wie beim Führerscheinneuling sein, wenn er zum ersten Mal alleine am Steuer sitzt – oder wie nach einer Abschlussprüfung, wenn man das Diplom in der Hand hält. Jetzt tu, was du gelernt hast!
Der Weißer Sonntag führt hinein in die Selbstständigkeit und in die Alltagspraxis des christlichen Glaubens. Den Namen erhielt er in Anlehnung an die Tradition, dass die in der Osternacht Getauften bis zu diesem Tag ihr weißes Taufkleid trugen. Ab dem 17. Jahrhundert begann man, an diesem Sonntag die Erstkommunion der Kinder zu feiern. Sie galten damit als im christlichen Sinn volljährig.
Eine besondere „Interpretation“, was nachösterlicher Glaube bedeutet, gab Papst Johannes Paul II., als er im Jahr 2000 den Weißen Sonntag als den „Sonntag der Barmherzigkeit“ einführte. Er tat es im Zuge der Heiligsprechung der polnischen Schwester Faustyna Kowalska. Zwar mag der Kult um das sogenannte „Faustyna-Bild“ umstritten sein, doch die dahinterliegende Botschaft – die Vision – ist stark. Bis ins Innerste hinein lebt der Mensch aus der göttlichen Barmherzigkeit. Lass dich berühren – und wage es, mit Jesus in Berührung zu kommen, so wie Thomas seine Finger nahe an das Herz Jesu gelegt hat. Das Entscheidende des Lebens verdankt man nicht eigener Leistung. Dass man umfangen ist von Gottes Barmherzigkeit, das lässt leben.
Im Sinne des Auferstandenen zu leben bedeutet dann jedoch, selbst Barmherzigkeit zu üben. Glaube ist keine Kopfsache alleine mehr. Er wird zum Handlungsraum. Man wird Barmherzigkeit üben, weil man aus Barmherzigkeit lebt.
Von erschütternder Intimität zeugt Caravaggios Darstellung der Begegnung Thomas’ mit dem Auferstandenen. Was sonst als Ausdruck des Unglaubens interpretiert wurde, wird hier als ein Zeichen des besonderen Glaubens dargestellt. So stark war Thomas‘ Glaube, dass er es sogar wagte, Jesus mit seinem Zweifel gegenüberzutreten. Vielleicht ist er gerade in der heutigen Zeit, in der viele nach Orientierung suchen, zum besonderen Begleiter geworden.
Caravaggio (1571–1610), Thomas und Jesus. Bildergalerie der „Stiftung Preußische Schlösser und Gärten“ in Berlin-Brandenburg.
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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