Wort zum Sonntag
In der Erzählung über die von Gott befohlene Tötung Isaaks heißt es: „Abraham streckte seinen Hand aus und nahm das Messer, um seinen Sohn zu schlachten. Da rief ihm der Engel des HERRN vom Himmel her zu und sagte: (...) Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus und tu ihm nichts zuleide. Denn jetzt weiß ich, dass du Gott fürchtest ...“. (Gen 22,10–12) Diese Erzählung erzwingt geradezu Abwehrreaktionen. In einem bemerkenswerten Kontrast steht dazu die Bedeutung dieser Erzählung in den drei monotheistischen Weltreligionen. Sie hat am jüdischen Neujahrsfest und um den Versöhnungstag, in der christlichen Osternachtsfeier und beim islamischen Opferfest ihren Platz (vergleiche Sure 37). Ginge es nur um eine autoritäre Grenzüberschreitung durch Gott, wäre dies nicht zu verstehen. Offenbar will diese biblische Erzählung Größeres sagen. Lässt sie einen tieferen Blick auf das Geheimnis Gottes und seine Beziehung zu den Menschen zu, um die es doch im Kern der Religionen geht?
Eine Antwort kreist um die exegetische Beobachtung, dass Isaak im Buch Genesis nicht für sich, sondern für das gesamte Volk Israel steht. Wenn nun Gen 22,13 festhält, dass Abraham einen Widder „anstelle seines Sohnes“ opfert, ist das ganz wörtlich zu nehmen: Das Opfertier vertritt den Sohn und es vertritt auch dessen Nachkommen, also das Volk Israel. Zur Abfassungszeit unserer Erzählung, im 5./4. Jahrhundert vor Christus, war es üblich, täglich im Jerusalemer Tempel einen Widder zu opfern. So schließt sich ein Kreis: Dieser Widder im Tempel steht für Isaak und damit für das ganze aus ihm entstandene Volk. Israel opfert im Tempelgottesdienst nicht etwas, sondern sich selbst. Die so verstörende biblische Erzählung entwickelt folglich eine tiefe Theologie des Opfers: Das Gottesvolk Israel weiß, dass es sich ganz dem Versprechen Gottes verdankt (vgl. Gen 12,1–3 und Gen 11,30). Und darauf antwortet es, indem es sich immer wieder – symbolisch im Widder – diesem Gott zurückgibt.
Ein zweite Antwort weist auf das Verständnis von Gott hin. In der Erzählung von „Isaaks Opferung“ zerschellen die gängigen Muster der Beziehung von Gott und Mensch: Dieser Gott erfüllt keine Wünsche, im Gegenteil, er scheint dem Menschen ganz fremd zu werden. Gott hebt seine Verheißung Abraham gegenüber nicht auf, aber die Irritation bleibt. Diese und ähnliche Erzählungen aus dem Alten wie dem Neuen Testament (so auch die Klagepsalmen oder die Passionsgeschichten der Evangelien) loten die Tiefen der Gottesbeziehung aus. Für die Weltreligionen, die sich auf die Bibel beziehen, sind sie unverzichtbar.
Man darf sich nichts vormachen: Viele Passagen der Bibel sind schwierig. Das Katholische Bibelwerk Stuttgart hat 33 solcher Bibeltexte zusammengetragen und erklärt. Der Bogen spannt sich vom „Gott der Rache“ bis zur Frage, ob die Frauen schweigen sollen, wie es bei Paulus heißt. Die KiZ stellt in unregelmäßigen Abständen Themen aus dem wissenschaftlich fundierten und spannenden Buch vor.
Thomas Hieke, Konrad Huber (Hrsg): Bibel falsch verstanden. Hartnäckige Fehldeutungen biblischer Texte erklärt. Stuttgart 2020, 300 Seiten, € 23,60. Portofrei bei Bestellung beim Linzer Bibelwerk: www.bibelwerklinz.at oder Tel. 0732 7610-3231 und E-Mail: bibelshop@dioezese-linz.at
Wort zum Sonntag
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