Wort zum Sonntag
Es ist ein warmer und sonniger Spätsommertag im September. Ein 4-jähriges Kind steht still in unserem Mutterhausgarten in Vöcklabruck und schaut gebannt auf ein Blumenbeet. Um die Blüten summt ein Schwarm Bienen und bestäubt eifrig die Blüten.
Der kleine Junge wächst in der Stadt auf, er ist die Straßenbahn, Asphalt und Einkaufszentren gewöhnt. Selbst im Kindergarten ist im Spielbereich draußen nicht viel Natur zu finden. Ein paar Bäume spenden Schatten, der blumenlose Rasen ist halb vertrocknet.
Der Anblick der fleißigen Bienen ist neu für ihn, und staunend betrachtet er das Spektakel.
Eine dreiviertel Stunde lang standen wir – mein Patenkind und ich – vor dem Blumenbeet und haben gemeinsam beobachtet und bewundert.
Mittlerweile ist er älter und geht schon in die Schule. Jedes Mal, wenn er bei mir auf Besuch ist, entdecken wir neue, aufregende Dinge im Mutterhausgarten. Und staunen gemeinsam.
Staunen ist etwas, das in unserem hektischen Alltag oft nicht viel Platz hat. Dafür braucht man nämlich Zeit. Zeit zum Wahrnehmen, Hinschauen und Hinhören. Zeit, Gewohntes wieder einmal bewusst neu zu entdecken und sich überraschen zu lassen.
Wenn wir in unserem Stundengebet den Psalm 139 beten, werden wir hineingenommen in das Staunen über Gott, der uns erschaffen und wunderbar gestaltet hat. Der Psalm lädt ein, über das Geschenk des eigenen Lebens nachzudenken.
Wertschätzung dem eigenen Leben gegenüber erscheint mir als wichtige innere Haltung. Nur wer mit sich selbst liebevoll und respektvoll umgeht, kann auch anderen Menschen Respekt und Wertschätzung entgegenbringen. Und wenn man diesen Gedankengang weiterführt, spiegelt sich die Wertschätzung des eigenen Lebens in der Wertschätzung der Schöpfung wider. Die innere Haltung wird in den Handlungen sichtbar.
Der Psalm lehrt uns, das Staunen im Alltag wachzuhalten. Dabei ist es nicht notwendig, alles bis ins letzte Detail zu verstehen. Gott zu messen – ein Ding der Unmöglichkeit. Gut so: So manches darf ein Geheimnis bleiben. Nur dann können wir uns das kindliche Staunen erhalten und neugierig und offen durchs Leben gehen.
Und mal eben eine dreiviertel Stunde den Bienen zuschauen und dem Schöpfer für dieses Wunder danken.
Du hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoß meiner Mutter. Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke.
Als ich geformt wurde im Dunkeln, kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde, waren meine Glieder dir nicht verborgen. Deine Augen sahen, wie ich entstand.
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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