Wort zum Sonntag
Sie zeigt, wie stark Erzählungen Identität stiften können. Wo Rupert draufsteht, ist fast immer Salzburg drin. Bei der Wiener Ruprechtskirche ankerten im Mittelalter die Salzschiffe aus dem Westen, die prachtvolle Kirche im slowenischen Šentrupert verweist auf Salzburgs Pionierrolle im südslawischen Raum. Der Ruperti-Winkel erinnert an jenes Drittel des Erzstifts, das 1816 an Bayern fiel. Wer aber war dieser Mann?
Rupert war kein Niemand, sondern stammte aus der (nach Merowingern und Karolingern) drittvornehmsten Familie des Frankenreichs: dem Clan der Rupertiner/Robertiner. Ab dem 10. Jahrhundert wird sie die Königsdynastie stellen. Quellen sprechen respektvoll vom „Herrn Rupert“. Die Forschung attestiert ihm eine illustre Verwandtschaft, die viele Regionalherren und Bischöfe am unteren Rhein und im Raum Maastricht stellte. Eine enge Verwandte Ruperts war wohl auch Folchaid, die Frau des bairischen Herzogs Theodo aus der Agilolfinger-Sippe († um 717). Womit eine Brücke gen Süden geschlagen ist. Was aber hatte Rupert dort zu suchen?
Keine leicht zu beantwortende Frage. Zu Rupert ist eine mehrteilige „Saga“ überliefert, die Jahrzehnte nach seinem Tod verfasst wurde. Als Erster hat wohl der gelehrte Salzburger Bischof Virgil (†784) daran gestrickt. Heiligenleben der Zeit sind idealisiert und enthalten viele Klischees. Präsentiert wird uns die literarische Figur des „Musterbischofs Rupert“, der mit dem Herzogshaus ganz Bayern bekehrt und zum Motor des Wiederaufbaus einer Region wird, welche die Völkerwanderung verheert hat. Doch die Vita nennt auch zehn alte Männer als Zeitzeugen. Kein Wunder also, dass sie ausreichend viele Details liefert, an denen sich Generationen von Historikern abarbeiten konnten. Ergebnis davon ist ein Wust an Versuchen, diese Gründerzeit Salzburgs zu rekonstruieren. Völlig einig wurde man sich nur darin, dass Rupert 696 Bischof von Worms am Rhein war und zwischen damals und 716 die Relikte des antiken Iuvavum so gründlich in Schuss brachte, dass daraus die Kirchenmetropole Salzburg erwachsen konnte. Aber ist das alles, was zu Rupert zu sagen ist?
Vorweg gilt es fromme Klischees auszuräumen. Die Bajuwaren im Donau-Alpen-Raum waren zur Rupert-Zeit längst Christen und mussten nicht „missioniert“ werden. Ihre Kinder wurden getauft; ihre Toten um Kirchen herum bestattet. Was im Vergleich zum organisierten Irland, Britannien und Frankenreich aber fehlte, waren Klöster und Bischofssitze. Denn sie erst schufen ein Reservoir an Leuten, die lesen und schreiben konnten, sowie repräsentative Bauten, in denen der Adel des Landes die Hochfeste feiern, nicht erbberechtigte Kinder unterbringen und seine Toten würdig bestatten konnte. Kurzum: Wer im kulturellen Ranking der Zeit bestehen wollte, brauchte alphabetisierte Kleriker und eine Infrastruktur.
In diesem Sinne wollte auch Herzog Theodo seine Regentschaft sichern. Dazu warb er einen Experten an, den er im Verwandten Rupert fand. Dieser reiste mit einem kleinen Mitarbeiterstab an, sichtete die Lage und gab die nötigen Anweisungen. Mit materieller Rückendeckung des hier residierenden Zweigs des Herzogsgeschlechts baute er Kirchen aus und errichtete neue. Ein Männerkloster wurde durch Zuzug aus Worms aufgefrischt. Herzogin Regintrud finanzierte am befestigten Nonnberg ein erstes „geistliches Frauenhaus“, das Ruperts enge Verwandte Erintrud organisierte. Die weitere Umsetzung überließ Rupert vermutlich Mitarbeitern und kehrte selbst in seine Bischofsstadt Worms zurück. Anders als der zuletzt ermordete fränkische Bischof Emmeram in Regensburg erledigte „Herr Rupert“ die Sache in Salzburg offenbar so solide, dass Herzog Theodo 716 als „erster seines Stammes“ nach Rom pilgern konnte und die formelle Einrichtung von Bistümern für sein Land erwirkte. Wann Rupert starb, wurde nicht vermerkt. Also gibt es kein sicheres Gedenkdatum?
Salzburg wäre gut beraten, die wertvolle „geistliche Marke“ Rupert nicht allein den tausend Wenn-und-Aber der Mittelalter-Forschung zu überlassen. Es darf ohne falsche Scheu auch Anleihen bei jenem Teil der reichen Rupert-Tradition nehmen, der sich in den historischen Befund fügt. Bestes Beispiel dafür ist das Todesdatum. Die Forschung hat sich bislang nur darauf verständigen können, Rupert zwischen 716 und 720 sterben zu lassen. Die Vita hält indes fest, dass sein Tod am Tag der „Resurrectio Domini“ eintrat, also dem Tag der „Auferstehung des Herrn“. Jeder Kenner mittelalterlicher Kalender weiß, dass damit der 27. März bezeichnet ist. Das Symboldenken der Kirchenväter hatte die Eckpunkte der Heilsgeschichte auf den klassischen Jahresbeginn am 25. März datiert: die Erschaffung der Welt, die „Fleischwerdung“ des Gottessohnes in Maria neun Monate vor der Geburt, die Erlösung der Menschheit am Kreuz (Karfreitag), womit das erste Ostern auf den 27. März fiel. Eine zweite Lesart ist auch möglich, nämlich, dass Rupert am Ostersonntag seines konkreten Todesjahres gestorben war. Tatsächlich haben spätestens seit dem 11. Jahrhundert alle Rupert-Geschichten das behauptet. Bei der Zelebration des Hochamtes lässt ihn auch Arsenio Mascagni im prachtvollen Rupert-Oratorium des Salzburger Domes niedersinken; auf dessen Hochaltarbild über den Rupert-Reliquien steigt Christus siegreich aus dem Grab.
Die Größen der Mittelalter-Historiker haben diese Darstellung des am Ostersonntag sterbenden Rupert als fromm-ignorantes Missverständnis abgetan. Was aber, wenn der kreative Autor der Rupert-Saga beide Lesarten wollte, also einen 27. März, der in besagtem Jahr der Ostersonntag war? Tatsächlich haben bereits frühe Chronisten so gefolgert. Eine nähere Überprüfung zeigt: Diese Koinzidenz war und ist äußerst selten der Fall, zwischen 630 und 790 gar nur zweimal (in den Jahren 707 und 718)! Erstleser der Vita in den 780er Jahren konnten somit folgern: Rupert starb am 27. März 718, als der Ostersonntag zuletzt auf den 27. März fiel.
Das weite kirchliche Ausgreifen Salzburgs hat den Alpen-Donau-Raum gleichsam zum „Rupert-Land“ werden lassen und mit einem Netz von Rupert-Kirchen überzogen, das vom bairischen Regensburg bis ins slowenische Pettau/Ptuj gespannt ist. Die Zusammenschau von Historie und Tradition offeriert ihnen allen nun ein solides Angebot, das Gedenken an ihren Patron auch zeitlich zu verankern.
Die Hauptbotschaft der Rupert-Saga lautet aber: „Unterm Krummstab ist gut leben!“ Rupert war demnach kein „Karfreitag-“, sondern ein „Ostersonntag-Heiliger“. Rupert war begnadeter Organisator, der aus Ruinen geistliches Leben und Prosperität erweckte. Eine Nebenlegende aus Reichenhall lässt ihn wie weiland Moses mit dem (Bischofs-)Stab auf den Felsen schlagen, aus dem daraufhin Salzquellen sprudeln. Damit eignet sich Rupert bestens als Patron für gute Politik und Kirchenleitung. Es sind nicht intellektuelle oder moralische Hochseilakte, die gute Führungskräfte ausmachen. Um zum Segen für ihre Zeit und Umgebung zu werden, reicht es, dass sie ihre Aufgaben professionell und zum Wohle der ihnen Anvertrauten erfüllen. «
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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