Wort zum Sonntag
Das nämlich ist die Bedeutung des griechischen Wortursprunges: „voll und ganz“. Mehr ist menschlich nicht zu erwarten, als sich in dieser Nacht erleben lässt: dass Gott sich dem Menschen schenkt. Es wird den Umstehenden nicht ganz klar gewesen sein, was sich da abspielte. Den
Hirten zum Beispiel, die von einem Engel die Botschaft vernahmen: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren.“
Und er berichtete weiter: Ein Kind würden sie in einer Krippe finden, „es ist Christus, der Herr“. Von einer Freude für das ganze Volk sprach der Engel, und eine große Heerschar bekräftigte die Botschaft.
„Ehre sei Gott in der Höhe
und Friede den Menschen
seines Wohlgefallens.“
Weihnachtsumsatz
Woche für Woche wird jetzt Auskunft gegeben – wie es steht mit dem Weihnachtsumsatz. Ist der Handel zufrieden, sei das ein gutes Zeichen, denn: Geht es der Wirtschaft gut, geht es allen gut.
Auf den Umsatz kommt es an. Das ist nicht nur ein Wirtschaftsgrundsatz, sondern auch eine Glaubensangelegenheit.
Da wurde eine neue Münze geprägt. Jemand hat also diese schöne neue Euromünze erhalten und verwahrt sie bei sich. Jahrzehntelang. Nie wird für diese Münze etwas gekauft, nie wird sie für etwas gespendet, weder Gutes noch Böses wird mit ihr angestellt. Verwahrt bleibt sie, bis sie eines Tages auf irgendeine Art und Weise verloren geht. Was war diese Münze wert? Nichts. Ihre Herstellung hat sogar etwas gekostet. Sie hätte etwas wert sein können, doch man hat ihren Wert nicht zur Geltung gebracht.
Der Wert des Geldes hängt also davon ab, ob man bereit ist, sich von ihm zu lösen, es also auszugeben. Nüchtern ausgedrückt: ob es umgesetzt wird.
Weihnachtsumsatz im Menschlichen: das wäre, wenn ein Mensch sich ins Spiel bringt, indem er bereit ist, sich immer wieder selbst „auszugeben“ – für andere. Selbstperfektionierung allein untergräbt die menschlichen Möglichkeiten, wenn sie nicht auch zum Einsatz gebracht werden.
Im weihnachtlichen Geschehen wird es am Handeln Gottes deutlich: Gott gibt sich selbst aus – und wird Mensch. Und auch Christus, diese menschliche Gottesgabe, gibt sein Leben – für alle. Nicht das Bei-sich-Bleiben, das Sein und Leben für andere ist die Umsatzweise des Christlichen. „Wer sein Leben gibt, wird es gewinnen“, sagt Jesus.
Ein Großteil des Weihnachtsumsatzes wird mit dem Wunsch, Menschen zu beschenken, erzielt. Eine gute Symbolik, denn das größte Geschenk, das Menschen einander bereiten können, sind sie selbst.
Seit den frühen Zeiten des Christentums wird dieser Lobgesang der Engel außerhalb der Fastenzeiten in den Kirchen im „Gloria“ gesungen. Angestimmt vom Priester stimmt das Volk ein. Natürlich wurde, wie bei solchen Texten üblich, um die Formulierungen gerungen, der Lobgesang gewissermaßen in eine theologisch wohldurchdachte Form gegossen.
Aber manchmal braucht das menschliche Empfinden etwas zu Herzen Gehendes. So hat Johann Philipp Neumann, seines Zeichens Physikprofessor an der späteren Technischen Universität in Wien, eine freie, aber anrührende Textfassung gewagt. Kein Geringerer als Franz Schubert hat in Neumanns Auftrag die Texte in der Deutschen Messe in den Jahren 1826/27 vertont.
Es ist ein schier sprachloses Stammeln, in dem Neumann die Wirkung der
Engelsbotschaft auf die Menschen zum Ausdruck bringt:
„Staunen nur kann ich und staunend mich freun, Vater der Welten, doch stimm ich mit ein: ,Ehre sei Gott in der Höhe!‘“
Ältere Katholikinnen und Katholiken haben dieses Gloria mit den anderen
Liedern der Schubert-Messe wohl Dutzende Male im Leben gesungen. Die tiefsten Wahrheiten des Glaubens verlangen eine andere Sprache und Melodie, als eine nüchterne Erklärung dies leisten kann.
Es sind nicht die schlechtesten, es sind die überwältigenden Momente im Leben, in denen es Menschen die Rede verschlägt. Beim Verlieben zum Beispiel oder bei einer gänzlich unerwarteten Überraschung. Und eben: wenn Gott in das Leben tritt. Da wird Rede zum Stammeln, und in diesem Stammeln steckt mehr an Bekenntnis als in wohlformulierter Rede.
Selbst in jenen Texten der Bibel, die Gottes Menschwerdung nicht im Erzählen der Geburtsgeschichte in Worte fassen, wird diese andere Art von Rede deutlich.
„Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut“, heißt es im Johannesevangelium. Kein Begreifen, kein Verstehen, ein Schauen ist es. Wie auch sollte man begreifen können, was größer ist als das Greifbare?
Und im Lukasevangelium: „Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe“, heißt es im Lobgesang des Zacharias, der nach der Geburt Johannes’ des Täufers das Kommen des Messias ankündigt. Auch diese Prophezeiung ist in der Sprechart von Weihnachten gehalten. Ein „Aufstrahlen“ ist es. Von etwas Wundersamem, höchst Bedeutsamem ist da die Rede.
Man „erarbeitet“ oder „erlernt“ die göttliche Wahrheit nicht. Sie strahlt auf, sie leuchtet – allen nämlich, „die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes“ – so Zacharias (Lukas 1,78–79). Es ist nicht die eigene Klugheit, die da leuchtet. Von einem anderen kommt das Leuchten. Und man kann sich diesem Aufleuchten öffnen, sich in das Licht stellen.
In der Schubert-Messe findet dieses Aufleuchten in der Mitte der Messe seinen Höhepunkt in einem stillen und staunenden Bekennen, das singen lässt:
„Heilig, heilig, heilig,
heilig ist der Herr!
Heilig, heilig, heilig,
heilig ist nur er!
Er, der nie begonnen,
er, der immer war,
ewig ist und waltet, sein wird immerdar.“
Es ist dasselbe Heilige, das die Weihnachtsnacht zur Heiligen Nacht macht. „Heilig“ werde man das Kind nennen. So hat es schon der Engel Gabriel bei der Ankündigung der Geburt Jesu der erschrockenen Maria verkündet. Nun ist er da, der Heilige.
In der Begegnung mit dem Göttlichen wird das Leben ganz. Das menschliche Suchen und Sehnen geht nicht ins Leere. Ganz kann es werden, wenn sich der menschliche mit dem göttlichen Willen verbindet – ganz und heil.
Auch das Heil-werden steckt im Heiligen. Jesus, der Heilende. Der wirkliche Trost der Welt, in dem auch das Gebrochene ganz wird.
Wege wagen im Advent
Teil 4 von 4
Von Matthäus Fellinger
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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