Wort zum Sonntag
Nein, Gott ist mittendrin. Das ist manches Mal wunderbar spürbar und erfahrbar; das ist aber nicht immer so ganz offensichtlich. Als glaubender Mensch immer wieder die Augen, die Ohren, die Sinne, den Geist, das Herz und den guten Willen dafür aufzumachen und Gottes Spuren in meinem Leben zu suchen, das könnte man – vereinfacht gesagt – „Mystik“ nennen.
Nicht nur die großen Heiligen in der Geschichte der Kirche waren Mystiker. Wir alle haben „das Zeug“ zum Mystiker, zur Mystikerin, auch heute.
Karl Rahner, einer der ganz großen Theologen des 20. Jahrhunderts, war nicht nur Berater beim 2. Vatikanischen Konzil und hat somit ein Stück Kirchengeschichte mitgeschrieben. Rahner hat auch viel darüber nachgedacht, wie Glaubenserfahrung geschehen kann und wie wichtig solche Erfahrungen für den Glauben und für die Zukunft der Kirche sind. „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein, weil die Frömmigkeit von morgen nicht mehr durch die ... selbstverständliche Überzeugung aller mitgetragen wird“, hat er bereits 1972 geschrieben.
Wenn es also heißt „Glaube ist mystisch“, dann geht es um Glaubens-Erfahrungen, um etwas Erlebtes und Durchlebtes, um einen Weg des Suchens und Findens. Glaube kann aber phasenweise auch eine ziemlich trockene Angelegenheit sein. Auch das darf erlebt und durchlebt werden; auch diese Zu-Mutung gehört zu einem Weg des Suchens und Findens. Und trotzdem werden – laut Rahner –, die Zukunft unseres Glaubens und unserer Kirche davon abhängen, dass wir Gottsuchende, Glaubenserfahrene und somit Mystiker/innen bleiben.
Wo ist Gott? Weit über unserer Welt (unendlich weit entfernt?) oder neben oder außerhalb unserer Welt? Nein, Gott ist mittendrin. Spätestens seit dem 2. Vatikanischen Konzil dürfen wir (wieder) daran glauben, dass Gott „mitten unter uns“ ist. Einer der prominentesten Texte des Konzils sagt uns: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger und Jüngerinnen Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände. … Sie [die Christen] haben eine Heilsbotschaft empfangen, die allen auszurichten ist. Darum erfährt diese Gemeinschaft sich mit der Menschheit … engstens verbunden.“
Wir Christinnen und Christen sind auf der persönlichen Ebene in Kontakt mit dem wahrhaft Menschlichen. Und wir sind es im Blick auf Zusammenhänge, auf Strukturen, auf Lebensbedingungen, auf das Gemeinwesen. Deshalb ist unser Glaube auch politisch. Deshalb geht uns diese Welt etwas an. Sehr viel sogar. «
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ordensgemeinschaften.at oder 01/5351287
glauben und leben
Spuren und Wurzeln des Christlichen
Teil 3 von 3
Wort zum Sonntag
Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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