Wort zum Sonntag
Wenn man die Erzählung von Adam und Eva liest, merkt man, dass sie inhaltlich nicht ganz stimmen kann. Die moderne Wissenschaft belegt, dass die Menschheit nicht aus einem einzigen Paar entstanden ist, sondern sich im Laufe von Jahrtausenden entwickelt hat. Für uns heute ist die Geschichte vom ersten Menschenpaar also eindeutig falsch. Die Vorstellung, dass ein Gott oder ein gottähnliches Wesen die Menschen erschaffen hat, findet sich aber in beinahe allen Mythologien der altorientalischen Welt. Adam und Eva sind demnach keine echte Täuschung, denn die antiken Autoren waren der festen Überzeugung, dass sich die Erschaffung des Menschen und die Entwicklung der Menschheit wie beschrieben zugetragen haben. Sie wollten nicht mit Absicht täuschen. Die sprechende Schlange hingegen ist, damals wie heute, ein richtiges „Fake“: Sprechende Schlangen gibt es nicht, und die biblischen Autoren wussten das. Sie greifen zu einem literarischen Mittel, um über die Menschheit zu erzählen.
Aber dann kommt der „Fake“-Höhepunkt, nämlich eine falsche Vorstellung, für welche die biblischen Autoren gar nichts können: Eva, die einen Apfel isst. Dieser berühmte Apfel kommt im biblischen Text nämlich gar nicht vor. Im Text steht zwar, dass Eva eine Frucht isst, Äpfel sind jedoch in der kargen Landschaft Judäas nicht wirklich heimisch. Die hebräische Sprache kennt trotzdem ein Wort dafür, nämlich „tappuach“. Es ist ein musikalisch klingendes, in der Bibel aber selten vorkommendes Wort. Wie in der ägyptischen, griechischen und römischen Dichtung ist der Apfel meistens in Texten anzutreffen, die sich mit Liebe und Eros beschäftigen. In der Erzählung von Eva und der Schlange geht es aber um etwas völlig anderes. Das Verzehren der verbotenen Frucht hat nämlich verheerende Folgen: das erste Menschenpaar wird aus dem Paradies gejagt, weil sie ein Gebot Gottes nicht beachtet haben.
Wenn aber der Text nicht von einem Apfel spricht, wo kommt dann der Apfel her? Im Laufe des Mittelalters begann man in der Kirche, theatralisch inszenierte Darbietungen biblischer Erzählungen für arme ungebildete Menschen zu organisieren. Dabei war Eva mit dem Apfel zu bestaunen. Der Grund lag wahrscheinlich darin, dass die lateinische Bezeichnung des Apfels – „malus“ – an das lateinische Wort für „das Böse“ – „malum“ – erinnerte. Eine weitere Theorie besagt, dass der Apfelbaum in Süd- und Mitteleuropa ein sehr verbreiteter Kulturbaum war, und so wollte die Kirche andeuten, dass eine derartige Sünde von jedem hätte begangen werden können. Denn selbst arme Leute konnten sich einen Apfel leisten. So fand der Apfel, obwohl er im Text nicht vorkommt, Einzug in die biblische Erzählung.
Buchtipp: „Von Adams Apfel bis Noahs Stechmücken. Fake News in der Bibel.“ von Simone Paganini. Verlag Herder, 2019. Euro 14,40.
„Fake News“ in der Bibel
Teil 1 von 4
Simone Paganini
Geschäftsführender Direktor des Instituts für katholische Theologie der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen
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