Wort zum Sonntag
Nach einer gefährlichen Forschungsreise, durch die er berühmt wurde, begab sich Charles de Foucauld (1858–1916) auf eine noch größere Reise: auf die Suche nach Gott. Zunächst vom Islam fasziniert, wandte er sich schließlich dem Christentum zu.
Zu Beginn seines religiösen Weges meinte er, Gott in der Stille und Zurückgezogenheit eines Klosters besonders nahe sein zu können. Doch dann ging ihm immer mehr auf, dass Gott sich in einem sehr menschlichen Gesicht gezeigt hat. Und wenn Gott in diesem Jesus von Nazaret Mensch geworden ist, so wurde er damit zugleich zum Bruder aller Menschen.
Aus dieser Grundüberzeugung folgt eine universale Geschwisterlichkeit, wie sie bereits Jesus zeichenhaft gelebt hat: Er gründete keine eigene Familie, sondern weitete die familiären Strukturen aus. Alle, die auf Gott als Abba, als Vater hören und ihm dadurch zugehören, werden für Jesus zu einem Bruder, einer Schwester, einer Mutter. (Markus 3, 31–35)
In diesem Geist überwand Jesus die sozialen und religiösen Barrieren, die Männer und Frauen, Reiche und Arme, Fromme und Sünder trennten. Nach anfänglichem Zögern überschritt er schließlich sogar die Grenzlinien des jüdischen Volkes: Die gute Nachricht von Gottes neuer Welt gilt nicht nur Israel als dem auserwählten Volk. Vielmehr dürfen sich alle Menschen als Gottes geliebte Kinder erfahren.
Die Botschaft von Gottes Menschwerdung in Nazaret bedeutet daher, dass die gesamte Menschheit sich als die neue große Familie Gottes verstehen lernt. Daher will Charles de Foucauld als „kleiner Bruder Jesu“ leben und infolgedessen auch Bruder der Menschen werden. Die Liebe zu Gott beginnt und verwirklicht sich mit der Liebe zum „Nächsten“ gleich nebenan, bei den Verwandten, Freunden und Bekannten; bei den Nachbarn und denen, die ungebeten an die Tür klopfen.
Auf dieser Linie will Charles de Foucauld sogar zum „Bruder aller Menschen“ werden, wie er schreibt. Es geht um eine geschwisterliche Grundhaltung, die allen Menschen gilt, gleich welcher Nation oder Religion sie angehören.
Konkret hat Foucauld den Muslimen, unter denen er viele Jahre lebte, eine große Hochachtung entgegengebracht. In einer Zeit, in der sich wieder nationale Egoismen oder konfessionelle Engstirnigkeit breitmachen, braucht es die Besinnung auf das Evangelium: Wenn alle Menschen Töchter und Söhne Gottes sind, so folgt daraus eine Solidarität, die sich auch um eine gerechte Verteilung der Güter müht. Und jeder Krieg ist ein Schlag ins Gesicht Gottes, das sich ja in jedem Menschenantlitz spiegelt. Daher gilt es, im Geiste Jesu Zeichen der Geschwisterlichkeit zu leben, durch die deutlich wird, dass Gott ein Gott aller Menschen ist.
Andreas Knapp, Wer alles gibt, hat die Hände frei. Mit Charles de Foucauld einfach leben lernen. bene! Verlag 2021, 176 S., Euro 18,50, E-Book Euro 14,99
Heiligsprechung am 15. Mai
Teil 3 von 4
mit Andreas Knapp, Priester, kleiner Bruder vom Evangelium, Dichter, Autor
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