Wort zum Sonntag
Das Wesen des Christseins wurde in der Tradition mit einem knappen Satz zusammengefasst: „Was Christen glauben sollen, steht im Glaubenbekenntnis, wie sie leben sollen, finden sie in den Zehn Geboten.“ Der Dekalog, wie die Zehn Gebote auch mit einem griechischen Lehnwort bezeichnet werden, nimmt eine zentrale Stellung im Glaubensgebäude ein.
Die Erzählung des Alten Testaments, dass Gott selbst die Gebote auf zwei Steintafeln geschrieben habe, ist weit über den Kreis bibelinteressierter Menschen hinaus bekannt. Die Tafeln sind zu einem einzigartigen Logo geworden und der Inhalt – so eine geläufige Vorstellung – zu einem universalen Sittengesetz, das für alle Menschen aller Zeiten gilt. Aber so einfach ist es mit den Zehn Geboten nicht, macht die jüngste Ausgabe der Zeitschrift „Welt und Umwelt der Bibel“ deutlich: Der Dekalog ist alles andere als ein kleinster gemeinsamer ethischer Nenner. Liest man ihn genau, führen seine Forderungen direkt zu den „Über“-Forderungen der Bergpredigt.
Zweimal finden sich die Zehn Gebote in der Bibel, in Exodus, Kapitel 20 und Deuteronomium Kapitel 5. An beiden Stellen hat der Dekalog dieselbe Funktion: Es wird seine Sonderstellung als Grundgesetz hervorgehoben. Interessant ist, dass der Dekalog keineswegs den Anspruch erhebt, vollständig zu sein, sondern dass er immer wieder der Aktualisierung in je neue Lebensumstände hinein bedarf. Die einzelnen Gebote werden dadurch aber nicht außer Kraft gesetzt, auch dann nicht, wenn nach Zusammenfassungen und Vereinfachungen der Gebote gesucht wird. Wie zum Beispiel im 19. Kapitel des Buches Levitikus, in dem die langen Erklärungen der Gebote auf den Satz hinauslaufen: „Du sollst deinen Nächsten lieben – er ist wie du.“
Den entscheidenden Impuls, der dem Dekalog zu seiner einzigartigen Bedeutung innerhalb der Kirche verhalf, gab der heilige Augustinus (verstorben 430). Er ordnete die beiden Tafeln der Gottes- und Nächstenliebe zu. Die zweite Tafel (Gebote vier bis zehn) entfaltet die Nächstenliebe. Der Kirchenvater hat damit die zweite Tafel doch in die Nähe eines universalen Menschheitsgesetzes gerückt.
Die Zehn Gebote. Welt und Umwelt der Bibel, Heft 4/2021 (82 Seiten). Das Heft beschreibt reich bebildert in mehreren exegestischen Beiträgen Inhalt und Bedeutung der Zehn Gebote. Zu bestellen (€ 11,80, für KIZ-Abonnenten portofrei) bei: bibelshop@dioezese-linz.at
Zum Bild: Detail des Mosesbrunnen auf dem Münsterplatz in Bern – errichtet 1791. Mit den zwei vom Kopf des Mose ausgehenden Strahlen setzte der Künstler um, was in der Einheitsübersetzung (Ex 34, 29) heute so wiedergegeben wird: „(...) Mose wusste nicht, dass die Haut seines Gesichtes strahle."
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Birgit Kubik, 268. Turmeremitin, berichtet von ihren Erfahrungen in der Türmerstube im Mariendom Linz. >>
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