Zum orthodoxen Weihnachtsfest am 7. Jänner wurde sie eröffnet, die imposante neue Christ-Erlöser-Kirche von Sotschi. In der ersten Reihe der Gottesdienstteilnehmer stand auch Staatspräsident Wladimir Putin. Kirche und Staat haben sich die beträchtlichen Kosten für dieses in Sichtweite des Olympiastadions errichtete Gotteshaus geteilt. Er glaube nicht, dass die russisch-orthodoxe Gemeinde des relativ kleinen Kurortes diese zusätzliche Kirche gebraucht hätte, auch nicht während der Olympischen Spiele, meint Rudolf Prokschi. Der Wiener Theologe und Experte für die Kirchen des Ostens kennt die russische Orthodoxie seit langem sehr gut und sagt unumwunden: „Da geht es wohl auch darum zu zeigen, wer hier der geistig-religiöse Platzhirsch ist.“ Dieses demonstrative „Muskel-Zeigen“ im öffentlichen Raum gebe es auch anderswo, meint Prokschi und verweist auf die „Kopie“ des Petersdoms an der Elfenbeinküste oder die zahlreichen, von den Saudis gesponserten Moscheen in Bosnien und Albanien; aber die russische Kirche habe darin seit der „Wende“ schon eine beachtliche Meisterschaft entwickelt.
Zweite Klasse
Schon deutlich bescheidener als die „Olympiakirche“ sind die religiösen Zentren in den drei olympischen Dörfern ausgefallen. Aber immerhin gebe es dort für die vier in der russischen Föderation anerkannten Religionsgemeinschaften (Russisch-Orthodoxe, Juden, Muslime und Buddhisten) halbwegs angemessene Gottesdiensträume, während sich die restlichen Kirchen mit winzigen, zum Teil fensterlosen und mit Elektroschränken verstellten Kammerln zufrieden geben müssen. In den Bauplänen seien sie unter „Christen 2“ (Klasse?) eingetragen, berichtet die Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“. „Für diese Planung kann man zunächst nicht die russische Kirche verantwortlich machen“, meint Prokschi: „Aber es zeigt schon, dass sich, im Unterschied zu sportlichen Großereignissen bei uns, die Mehrheitskirche keine Gedanken gemacht hat, wie man in echter ökumenischer und interreligiöser Zusammenarbeit eine gute Seelsorge für Sportler und Besucher organisieren kann.“
Getrennte Wege
Die Ökumene, so meint Prokschi nüchtern, „zählt nicht zu jenen Feldern, wo sich die russische Kirche besonders engagieren würde. Da heißt es dann immer wieder, für eine engere Zusammenarbeit wären die Unterschiede noch viel zu groß. In Wahrheit“, so Prokschi, „trennt uns in den zentralen Glaubensinhalten gar nichts – ausgenommen das im 19. Jahrhundert massiv auf den Papst zugespitzte hierarchische römisch-katholische Kirchenverständnis.“ Für anachronistisch hält es Prokschi, wenn die russische Kirche immer wieder von ihrem „kanonischen Territorium“ spricht. Da werde ein Begriff aus der byzantinischen Kirchenordnung beschworen, um das Terrain der eigenen Macht abzustecken – sowohl gegenüber anderen christlichen Kirchen als auch gegenüber konkurrierenden oder „abtrünnigen“ orthodoxen Kirchen (Estland, Ukraine etc.). Schon ziemlich pikant findet es Prokschi, wenn dieses „heilige Gebiet“ ausgerechnet die von den Kommunisten geschaffene Sowjetunion umfassen soll. Für zunehmende innerorthodoxe Verstimmung sorgt, dass Moskau auch die im Laufe der Jahrhunderte dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel zugewachsene Leitungsautorität neuerdings wieder in Abrede stellt.
Allianz
Wenig mit Ökumene zu tun haben, so Prokschi, die deutlichen Avancen von Metropolit Hilarion, dem „Außenminister“ des Moskauer Patriarchats, in Richtung katholische Kirche: „Da geht es nicht um mehr Einheit, sondern um eine ,strategische Allianz‘. Russlands Kirche versteht sich als Bollwerk gegen den westlichen Verfall von Sitte, Moral und Glaube und sieht dabei in der katholischen Kirche einen möglichen Verbündeten – nach dem Motto: „Wir zwei gegen den Rest der Welt.“
Zur Sache
„Symphonie“ von Staat und Kirche
Dass Pussy Riot ihren Protest gegen die Wiederwahl von Wladimir Putin ausgerechnet in der bekannten Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale vom Stapel ließen, war kein Zufall. Denn miteingeschlossen in die Kritik war auch die russisch-orthodoxe Kirche und ihr Patriarch Kirill. Nicht nur die Punkladies werfen der Moskauer Kirchenführung eine zu große Nähe zum herrschenden Regime vor. Offiziell, so der Wiener Ostkirchenexperte Rudolf Prokschi, betonten Patriarch Kirill und sein Vorgänger Aleksij wiederholt, dass sich die Kirche nicht in die Politik einmischen wolle und für sich auch nicht mehr die Rolle einer Staatsreligion anstrebe. Andererseits gebe es seit der Zeit von Boris Jelzin eine „Politik der Symbole“, die deutlich mache, auf welcher Seite die Kirche steht. „Als Jelzin den damals weitgehend unbekannten Ex-KGB-Agenten Wladimir Putin als Präsidentschaftskandidaten aus dem Hut zauberte, konnte dieser mit dem Segen des Patriarchen ins Rennen gehen. Das war mehr wert als jede Wahlempfehlung“, meint Prokschi. In einer weltanschaulich weitgehend entleerten Politik und Gesellschaft ist die Kirche ein einflussreicher Player um die geistig-moralische Orientierung. „Und so hat man auch – im Sinne des gegenseitigen Nutzens – die über 1000 Jahre alte byzantinische Formel von der ,Symphonie des weltlichen und des geistlichen Arms‘ wieder ausgegraben“, sagt Prokschi.