Auch wenn Deutschland und Österreich in der Europäischen Union zu den Ländern mit annähernd 100 Prozent Recyclingquote zählen, ist das kein Grund, mit dem Finger auf andere zu weisen, ortet der Meeresbiologe Dr. Gerd Liebezeit von der Universität Oldenburg Handlungsbedarf auch in Europa. Das Hauptproblem sieht der Experte in der Verwendung von Plastik, das nur einmal oder wenige Male verwendet wird, Kunststofftaschen, Flaschen und Verpackungen vor allem. Sie machen ein Drittel der Plastikproduktion aus. Nicht nur „eine Umweltschweinerei, sondern auch eine Ressourcenverschwendung“ sei das. Gerade die Länder mit hohen Umweltstandards hätten die Pflicht, ihr Wissen weiterzugeben und Ländern mit schweren Umweltproblemen zu helfen. Allerdings: Nach wie vor wird Müll auch aus Europa in Drittweltländer exportiert – vor allem Elektronikmüll. Gerd Liebezeit macht zudem auf die Verwendung von Kunststoffen in Produkten aufmerksam, bei denen man das Plastik nicht sieht. „Der Verbraucher weiß oft gar nicht, was er da kauft oder nutzt.“ Die wenigsten seien sich bewusst, dass in Kosmetika „Mikroplastik“ in Form von Polyethylen enthalten ist, und sie hätten auch „keine Vorstellung davon, was mit dem Zeug passiert, wenn es einmal in den Ausguss gespült wurde“. Was damit geschieht, haben zwei Kollegen Liebezeits im Plankton sowohl im Süßwasser als auch im Meer festgestellt. Erst die zweite Generation zeigt Effekte, wenn die Elterngeneration mit Mikroplastik belastet wurde, wie es zum Beispiel in der Zahnpaste als „Scheuermittel“ enthalten ist. Die vorgeschriebenen Tests gehen aber nicht so weit.
Folgen für das Nahrungsnetz
Langfristig rechnet der Experte mit Auswirkungen auf das gesamte Nahrungsnetz. Von der derzeit knapp 300 Millionen Tonnen jährlich produzierten Menge Plastik landen 5,7 Milionen Tonnen im Meer. Bis zu 1000 Jahre dauert der biologische Abbau. Liebezeit hält ein Umdenken für unbedingt notwendig – vor allem ein Umsteuern, denn Plastik bleibt eine Gefahr, auch wenn es gesammelt wird. „Der einzige ungefährliche Umgang ist, diesen Müll gar nicht erst entstehen zu lassen.“ Deponieren und Verbrennen sind für Liebezeit auch keine Lösungen, denn in beiden Fällen gingen Ressourcen verloren. Dass diese zu Ende gehen, sei noch viel zu wenig bewusst.
Alternativen
Für das heutige kurzlebige Plastik müssten Alternativen entwickelt werden. Solche Kunststoffe müsste man zu Hause im eigenen Kompost entsorgen können. Was heute als biologisch abbaubar vermarktet wird, sei nur durch industrielles Kompostieren bei relativ hohen Temperaturen wirklich abbaubar. „Die beste Alternative ist der Verzicht auf Einmalartikel wie Einkaufstaschen und Abgepacktes im Supermarkt.“ Glasflaschen und „Jute statt Plastik“ – das gab es ja schon einmal, erinnert Gerd Liebezeit.
Zum Thema
Alles Plastik
Die drei größten Einsatzgebiete von Plastik sind: Verpackungen: 33 %, Bauwesen: 25 %, Elektronik, Elektrotechnik: 25 %. In Österreich kommen im Jahr eine Million Tonnen Kunststoffe zum Einsatz.
Was tun?
Konsumenten haben die Möglichkeit, in Geschäften ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu geben, wenn Produkte nur plastikverpackt angeboten werden – und sie nach Möglichkeit nicht zu wählen. Was nicht gefragt wird, wird mit der Zeit auch nicht angeboten. Anregungen für ein „plastikfreies“ Leben auf http://www.plastikfrei.at