„Die Kirchen haben vor 100 Jahren im Ersten Weltkrieg Partei ergriffen, aber nicht für den Frieden.“ Diese Kritik von Bischof Ludwig Schwarz aus Linz stand am Anfang der Ökumenischen Sommerakademie in Kremsmünster, die sich vergangene Woche mit Religion und Gewalt beschäftigte.
„Denn Du bist der ewige Richter der Welt, / drum haben wir unseren ehrlichen Streit / an Deines Thrones Stufen gestellt / und geh’n in den Kampf, zum Letzten bereit / in Deinem heiligsten Namen. Amen.“ „Vater unser 1914“ heißt das erschreckende Gedicht von Mirko Jelusich, aus dem diese Zeilen stammen. An ihnen wird klar, was der deutsche Philosoph Franz Josef Wetz Religionen vorwirft: „Sie bieten der Gewalt eine Plattform, eine Arena.“ Zwar distanzierte sich Wetz auf der Sommerakademie von Stimmen, die monotheistische Religionen als Hauptursache für Krieg und Gewalt sehen. Aber sie seien auch Handlanger der Gewalt. Man könne sie durch Bildung, Humanisierung oder Strafandrohung zähmen oder mit „wildnisähnlichen Reservaten“ (Spiel, Sport, Sex) in sozial verträgliche Formen bringen. Religion, die Askese statt Sinnlichkeit fördert, würde den Abbau von Gewalt behindern, folgerte Wetz. Gewalt gehöre zur Natur des Menschen.
Heilige Schriften
Gewalt sei in menschlichen Gesellschaften stets gegenwärtig, sagte auch Bibelwissenschaftlerin Gerlinde Baumann. Das sei auch der Grund dafür, dass sich viel Gewalt auch in der Bibel finde. Diese habe auch in die Kriegstheologie von 1914 Eingang gefunden. Auch Gott werde nicht nur als barmherzig, sondern auch als Gewalttäter dargestellt, wenn er Krieg führt, Völker straft oder Unglück über Ijob hereinbrechen lässt. Allerdings warnte Baumann vor einem Missverständnis: Nicht Gott sei gewalttätig, sondern ihm werde Gewalt im Rahmen von menschlichen Rollenbildern zugeschrieben. So lehne sich das Gottesbild zum Beispiel an die Rolle des Königs an. Zur Entstehungszeit der Texte des Alten Testaments gehörte dazu auch das Führen von Kriegen. „Mit den Bildern der damaligen Zeit wird Gott als mächtig, stark und überlegen gezeigt.“ Man müsse solche Bibelstellen vor dem Hintergrund ihrer Zeit und als Spiegel der menschlichen Gewalttätigkeit lesen. Mit ihnen könne man unter Umständen zu einer Sprache finden, die erlittene Gewalt ausdrücken kann.
Jihad
Auch Mariella Ourghi, Islamwissenschaftlerin aus Freiburg/Breisgau analysierte Suren des Koran und Überlieferungen (Hadithe) über den Propheten Mohammed vor dem Hintergrund ihrer Entstehung. „Man kann aus den Texten Zusammenhänge mit Friedfertigkeit genauso herstellen wie mit Gewalt.“ Das Wort „Jihad“ einfach mit „heiliger Krieg“ zu übersetzen, ignoriere die Vielschichtigkeit des Begriffs, der zum Beispiel auch den Kampf gegen eigene Schwächen meinen könne. Gewalttäter würden die Texte aus ihrer jeweiligen Situation heraus deuten. Die Gewalt habe nicht allein religiöse Ursachen, sondern komme aus gefühlter Bedrohungssituation, bei der ökonomische und politische Benachteiligung mitschwinge.
Aufgabe der Religionen
Am Beispiel des Konfliktes zwischen Israelis und Palästinensern zeigte der Religionswissenschaftler Hans Kippenberg aus Bremen, wie ein ursprünglich politischer Konflikt religiös gedeutet wird. Lösungen sieht er darin, Empathie für die jeweils andere Seite zu entwickeln. Solches Mitfühlen und Vertrauen zwischen Menschen zu ermöglichen sei Aufgabe der Religionen, sagte gegen Schluss der Tagung Cesare Zucconi. Der römische Historiker ist Generalsekretär der Gemeinschaft Sant’ Egidio, die unter anderem für ihre Friedensarbeit international geachtet wird. Gewalttäter würden an die Türen von Kirchen, Moscheen, Synagogen und Tempeln klopfen und Legitimation für ihr Tun verlangen, schilderte Zucconi bildhaft. So blendete er zwar auch nicht aus, dass Religionen „Gefahr laufen, Verachtung zu predigen“. Dennoch lieferte er so etwas wie einen Gegenentwurf zu den Aussagen des Religionskritikers Wetz. Und Zucconi konnte diesen auch mit konkreten Erfahrungen belegen: Sant’Egidio hat mehrfach in kriegerischen Konflikten vermittelt, besonders bekannt ist das Wirken der Gemeinschaft für die Beendigung des Bürgerkriegs in Mosambik 1992. „Wir wollen die Hoffnung erhalten, dass Frieden möglich ist“, sagte Zucconi.
Kaum geschätzte Friedensarbeit
Er kritisierte, dass es seit dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime 1989 weltweit wieder mehr Kriege gebe und diese oft als unvermeidlich dargestellt würden. Als zu Menschen zugehörig bezeichnete Zucconi nicht wie Wetz Gewalt, sondern Konflikte. Die Herausforderung bestehe darin, diese durch Dialog zu lösen, nicht durch Gewalt. Leider schätze die „vorherrschende Kultur“ die Friedensarbeit nicht. „Wo sind heute die Menschen, die auf die Straße gehen und für den Frieden im Heiligen Land, in Syrien oder im Irak demonstrieren?“, fragte Zucconi. Europa habe eine besondere Berufung zum Frieden.
Sommerakademie
Bereits zum 16. Mal fand heuer die Ökumenische Sommerakademie in Kremsmünster statt. Veranstalter sind der Ökumenische Rat der Kirchen, das Evangelische Bildungswerk, die Katholisch-Theol. Privatuniversität Linz, das Land Oberösterreich, der ORF, das Stift Kremsmünster und die KirchenZeitung der Diözese Linz.
Über Religion, Gewalt und Wege zum Frieden
„Die These, monotheistische Religionen wären besonders gewalttätig, lässt sich nicht belegen. Hingegen spielen Faktoren wie unzureichende theologische Bildung, ein dualistisch-apokalyptisches Weltbild, Gruppendruck und fehlende Binnenpluralität eine Rolle, wenn es zu gewaltbereitem Verhalten kommt.“ Rolf Schieder, Humboldt-Uni, Berlin
„Aus dem Denken, Streitkräfte als letztes Mittel zur Beendigung eines bewaffneten Konflikts zu schicken, wurde, dass sie oft das einzige Mittel sind. Das greift zu kurz. (...) Wir Europäer brauchen Lösungen für Konflikte im afrikanischen Raum. Ich hoffe auf eine Einbettung ziviler Kräfte in eine umfassende Strategie.“ Walter Feichtinger, Österreichisches Bundesheer
„Ob Einsätze des Militärs notfalls ein Weg sein dürfen, gewaltsame Konflikte zu beenden, wird bei uns nicht einhellig beantwortet. Frieden von außen durch Waffen zu schaffen, kann leicht für Sonderinteressen missbraucht werden. Unsere gemeinsame Überzeugung ist aber, dass Prävention das Mittel der Wahl ist.“ Gotlind Hammerer, Pax Christi Österreich
„Das Bedürfnis nach Frieden geht uns Europäer besonders an. Die Europäer müssen ihre Müdigkeit überwinden und ihre Berufung für die Welt wiederfinden. Vor 100 Jahren hat Europa den Krieg gebracht, jetzt sollte es den Frieden bringen. Wir sind Weltbürger mit der Verantwortung, aber auch mit der Fähigkeit zu handeln.“ Cesare Zucconi, Gemeinschaft S. Egidio
Beiträge der Kirchen zum Frieden
Ökumene sei das große Friedensprojekt der christlichen Kirchen, sagte die evangelisch-methodistische Pastorin Esther Hanna Handschin bei der Abschlussdiskussion der Sommerakademie. Auch im Religionsunterricht würden die Kirchen einen Beitrag zum Frieden leisten: „Wir müssen jungen Menschen beibringen, wie man mit dem Phänomen Religion gut umgehen kann“, sagte Handschin. „Ich frage mich, ob es nicht an der Zeit ist, auf das Privileg des konfessionellen Religionsunterrichts zu verzichten, und ein gemeinsames Fach anzustreben, in dem alle – auch die Konfessionslosen – lernen, mit Religion umzugehen“, sagte Handschin. Der orthodoxe Theologe Grigorios Larentzakis verwies mit Nachdruck auf die gemeinsamen Friedensdokumente der christlichen Kirchen. Diese müsse man wieder in Erinnerung rufen. Außerdem müssten ihnen Taten folgen. Religionen hätten Stärken, weil sie etwas hätten, was die Welt nicht geben könne, sagte der römisch-katholische Salzburger Erzbischof Franz Lackner. Aber Religionen würden sehr leicht der Versuchung erliegen, sich mit Macht zu verbinden oder sich instrumentalisieren zu lassen, räumte er ein. Vor den Versuchungen könne das Denken helfen, vor allem aber der Blick auf das Beispiel Jesu, sagte Lackner mit Verweis auf die Bergpredigt: „Selig, die keine Gewalt anwenden ... Selig, die Frieden stiften ...“ Es brauche Selbstkritik und eine ökumenische „correctio fraterna“, eine geschwisterliche Korrektur.