Der Präsident der Wirtschaftskammer Österreich, Dr. Christoph Leitl, erklärt im KirchenZeitungs-Gespräch unter anderem, warum er als Kammerpräsident in der Frage der Russland-Sanktionen eine deutlich andere Meinung vertritt als der ebenfalls aus der Wirtschaft kommende Minister Dr. Reinhold Mitterlehner: Mitterlehner ist der Regierung verpflichtet, Leitl ist in seiner Meinung frei.
Man kann von Ihnen oft hören: Keine neuen Steuern! Gleichzeitig treten Sie für eine Lohnsteuer-Senkung ein. Dafür sollen Bund, Länder und Gemeinden ihre Ausgaben um ein Prozent kürzen. Aber viele Gemeinden sind hoch verschuldet. Wie sollen die etwas beitragen können? Zum Beispiel Gemeindekooperationen eingehen. Für sie gibt es sehr schöne Beispiele, die höchste Zufriedenheit der Bevölkerung erreichen, etwa im Mühlviertel.
Sie wenden sich gegen die sogenannte Millionärssteuer und sagen: „Wo Millionärssteuer draufsteht, ist Mittelstand drin“. Ist der Mittelstand ein Millionärsstand? Nein. Ich nenne einen unverdächtigen Zeugen – Hannes Androsch. Er sagt, diese Steuer wird es nicht bringen. Sie ist standortschädigend und der bürokratische Aufwand ist zu hoch.
Die Arbeiterkammer verweist auf eine Studie der Uni Linz, wonach diese Steuer zwischen 2,6 und 5,4 Milliarden Euro bringen würde und sagt, dass davon keine Unternehmen und Kapitalgesellschaften, sondern nur natürliche Personen und Privatstiftungen betroffen wären. – Wäre eine Millionärssteuer nicht doch akzeptabel? Wir hatten schon einmal eine solche Steuer. Sie hat nur einen Bruchteil dessen gebracht, was jetzt an Zahlen genannt wird. Eine Erbschafts-, Schenkungs- und Vermögenssteuer wird, wenn sie Betriebe ausnimmt, 125 Millionen Euro bringen. Die Arbeiterkammer soll alle Berechnungen auf den Tisch legen und sagen, wer wie viel Steuer zahlen müsste. Was ist, wenn ein Unternehmer seinen Betrieb an den Sohn schenkt. Heißt das, dass keine Steuern zu zahlen sind? Ich will es konkret wissen. Außerdem, warum sollte überhaupt jemand etwas zahlen. Der Staat hat bisher drei Sparpakete geschnürt und Entlastung versprochen. Die ist ausständig. Jetzt will ich einmal sehen, was der Staat zustande bringt.
Sie gehören zu den Mahnern gegenüber denen, die Sanktionen gegen Russland fordern. Statt Sanktionen haben Sie sogar ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Russland vorgeschlagen. Wirtschafts-Minister Mitterlehner aber steht voll hinter den scharfen EU-Sanktionen. Dem Minister Mitterlehner bleibt gar nichts anderes übrig. Er ist in dem, was er sagt, der Regierung verpflichtet. Ich bin unabhängig, kann sagen, was die Betriebe denken. Schauen wir auf 1914: voller Misstrauen gegeneinander sind damals Schritte gesetzt worden, die in eine Katastrophe führten. Niemand konnte sie stoppen. Und heute? Heute machen wir dasselbe, wir setzen auf Konfrontation. Wem nützt dies? – Die Bauern klagen schon. Ich kenne viele Betriebe, die betroffen sind, Wurstfabrikant Greisinger sind zum Beispiel 25 Millionen Euro weggebrochen. Dass hinter den Sanktionen die Amerikaner stehen, ist ein eigenes Kapitel. Sie haben auch viel weniger Wirtschaftsverflechtung mit Russland. Sie gehören zu den Befürwortern des Freihandels-Abkommens TTIP mit den USA. Können Sie die Kritiker dennoch verstehen, die „Geheimverhandlungen“ beklagen, Demokratie einmahnen und europäische Standards gefährdet sehen? Ich bemühe mich, Ängste zu beseitigen. Wenn ich mir Sorgen mache, muss ich sie äußern und schauen, ob ich sie zufriedenstellend wegbringe. Aber schon vorher zu sagen, das Ganze will ich nicht, ist nicht gescheit.
Wenn die Verhandlungen geheim sind, gibt es keine Möglichkeit, die Sorgen zu deponieren. Mir hat Othmar Karas (Europäische Volkspartei, EU-Abgeordneter, Anm.) gesagt, dass alle Fraktionsführer im Europäischen Parlament regelmäßig über den Fortgang der TTIP-Verhandlungen informiert werden. Außerdem entscheidet letztlich das Europäische Parlament. Dieses hat erst vor wenigen Monaten die Saatgut-Verordnung mit großer Mehrheit zu Fall gebracht. Wer kann da meinen, es würde einem geheimverhandelten nachteiligen TTIP zustimmen?
In der EU sind sechs Millionen junge Menschen ohne Beschäftigung. Eine „beschämend hohe Zahl“ nannten Sie das. Ist es nicht auch beschämend, dass bisher nur Frankreich auf den zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit mit sechs Milliarden Euro gefüllten EU-Topf zugegriffen hat? Ja, das ist sehr beschämend. Ich habe in diesen Tagen Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, den ich sehr gut kenne, in einem Brief vorgeschlagen, ein Fünf-Punkte-Programm auf die Beine zu bringen, das bis 2020 die Jugendarbeitslosigkeit in Europa halbiert. Wir müssen die schulische und berufliche Ausbildung zusammen bringen. Und wir müssen Betriebe, die junge Leute beschäftigen, unterstützen.