Auch wenn der Konflikt in der Ukraine nicht religiöser Natur ist, gab es auch Vorwürfe zwischen Kirchen. Über deren Bedeutung spricht Theologe Thomas Bremer im Interview.
Ausgabe: 2014/37, Ukraine, Bremer, Orthodox
09.09.2014
- Interview: Heinz Niederleitner
Im Hintergrund der politischen Ukraine-Krise ist auch von einem „Propaganda-Krieg“ verschiedener Kirchen die Rede. Müssten Kirchen nicht zur Beruhigung der Lage beitragen? Bremer: Verglichen mit anderen Konflikten kann ich die Propaganda-Vorwürfe nicht nachvollziehen. Natürlich ist zu sagen, dass vor allem die griechisch-katholische Kirche und die orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats sehr stark die Politik der ukrainischen Regierung unterstützen. Die ukrainisch-orthodoxe Kirche, die in Gemeinschaft mit dem Moskauer Patriarchat ist, bekennt sich aber auch zur territorialen Unversehrtheit der Ukraine. Das entspricht auch dem, was der ukrainische Rat der Kirchen und Religionen sagt. Noch einmal etwas anderes ist es mit dem Moskauer Patriarchat selbst: Dort gibt es Personen, welche die russische Position in diesem Konflikt vertreten. Die offiziellen Stellungnahmen des Moskauer Patriarchs sind zwar manchmal etwas polternd, in Bezug auf Politik aber zurückhaltend.
Sie sehen also Ansätze, dass die Kirchen zu einer Beruhigung des Konflikts beitragen, der ja an sich kein religiöser Konflikt ist? Genau. Die Kirchen haben betont, dass es kein religiöser Konflikt ist. Es sind ganz wenige Personen, die das nicht so sehen.
Sie haben die griechisch-katholische Kirche und ihre Unterstützung der Kiewer Politik angesprochen. Wie ist das zu verstehen? Die griechisch-katholische Kirche hat eine bestimmte Geschichte hinter sich, in der die Identifizierung mit der ukrainischen Nationalität immer eine sehr wichtige Rolle gespielt hat. Das hat neben anderen Umständen dazu geführt, dass sie sich in diesem Konflikt stark engagiert hat. Aber das gilt auch für die ukrainische Orthodoxie des Kiewer Patriarchats. Das ist eine schismatische Kirche, die in der Orthodoxie nicht anerkannt ist. Diese Kirche war ein politisches Projekt der 90er Jahre.
Kann Rom Einfluss auf die griechisch-katholische Kirche ausüben, damit diese sich weniger exponiert? Rom ist da in einer schwierigen Lage: Die unierten Kirchen sind ja Teil der katholischen Weltkirche, sodass es grundsätzliche Solidarität gibt. Allerdings werden sie von den Orthodoxen als Belastung im ökumenischen Gespräch aufgefasst. Doch hat die griechisch-katholische Kirche im Westen der Ukraine während des Kommunismus stark gelitten – da gab es viele Märtyrer. Das muss anerkannt werden. Die Aufrufe aus Rom gehen in die Richtung, eine gewaltfreie Konfliktlösung zu suchen.
Es heißt, das orthodoxe Moskauer Patriarchat würde Russland als sein Territorium betrachten. Welche Auswirkungen hat das auf den Ukraine-Konflikt? Keine, denn das sogenannte kanonische Territorium des Moskauer Patriarchats war immer schon weiter als Russland und umfasst fast den gesamten Bereich der ehemaligen Sowjetunion. Das ist ziemlich unumstritten. Interessant ist aber das Verhalten in Bezug auf die von Moskau annektierte Krim. Geht man davon aus, dass die Krim jetzt zu Russland gehört, müsste das ja heißen, dass die drei orthodoxen Bistümer dem Moskauer Patriarchat direkt unterstellt werden. Das ist bislang aber nicht passiert: Sie unterstehen weiter dem Metropoliten des Moskauer Patriarchats in Kiew. Wenn man so will, wurde kirchlicherseits die Annexion der Krim nicht mitgemacht. Der Umgang des Moskauer Patriarchats mit den politischen Entwicklungen ist noch nicht klar.
Orthodoxie in der Ukraine
Die ukrainische Orthodoxie ist gespalten in eine Kirche, die dem Moskauer Patriarchat untersteht, und einer Abspaltung, die ein Kiewer Patriarchat gegründet hat. Dieses wird von der Orthodoxie weltweit nicht anerkannt. Daneben gibt es noch eine ältere autokephale Kirche.