Der Hilfeschrei war unüberhörbar: 700 Menschen folgten am 18. September der Einladung zur Diskussion über den Abbau der Wartelisten in den Bereichen Wohnen, Arbeit und Persönliche Assistenz für Menschen mit Beeinträchtigung. Überall ist der Bedarf größer als das Angebot!
Christa Krauk, Mutter eines Sohnes mit schwerer geistiger Beeinträchtigung, spricht am Beginn der Diskussion vielen betroffenen Angehörigen aus der Seele. Sie erzählt von einer 60-jährigen Mutter. Diese hoffe, dass ihr beeinträchtigtes Kind vor ihr stirbt. – So verzweifelt ist sie, weil sie keinen Betreuungsplatz für ihren Sohn bekommt. Auch Frau Krauk berichtet von Erschöpfung, davon, wie sehr die Familie belastet ist, wie wenig Erholungsmöglichkeiten es gibt, dass sie kaum eine Nacht durchschlafen kann, dass es nicht möglich ist, auf eine Reha zu fahren, denn wer würde sich um den Sohn kümmern ...
Anspruch und Wirklichkeit
Die Wartelisten sind lang. In den Bereichen Arbeit, Wohnen, Mobile Betreuung bzw. Persönliche Assistenz warten 22 bis 58 Prozent der Betroffenen auf Leistungen. Nur bei der Frühförderung ist der Deckungsgrad deutlich besser: etwa 90 Prozent. Oberösterreich ist vom gesetzlich formulierten Anspruch (Chancengleichheitsgesetz seit 2008) her ein Muster-Bundesland. Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer weist darauf hin, dass Oberösterreich auch – gemessen am Budget – nach Vorarlberg Österreich-Spitze ist. Aber das Chancengleichheitsgesetz hat ein Wenn: Die Leistungen stehen nur nach Maßgabe der vorhandenen Mittel zu. Davon gibt es zu wenig.
Daheim bleiben oder arbeiten?
Daher richten sich die Diskussionsbeiträge an die Politiker auf dem Podium – Sozial-Landesrätin Gertraud Jahn sowie Landeshauptmann und Finanzreferent Josef Pühringer. – Eine Mutter von fünf Kindern, von denen eines bei einem Unfall bleibende schwere Beeinträchtigungen erlitten hat, formulierte ihre Sorge: „Ich frage mich, was ich nächstes Jahr mache, wenn das Kind 18 Jahre ist und nicht mehr in die Schule gehen kann. Dann ist es zu Hause.“ Sie setzt fort: „Herr Landeshauptmann, was würden Sie in meiner Situation machen? Soll ich daheim bleiben, von der Sozialhilfe leben, oder meinem Beruf nachgehen, was ich gerne tu?“ Sowohl Landesrätin Jahn wie auch Landeshauptmann Pühringer zeigen Verständnis für die Anliegen, weisen aber auf die schwierige budgetäre Situation des Landes hin. Einig sind sie sich darin, dass im Zuge des Finanzausgleichs, der 2015 verhandelt wird und Ende 2016 in Kraft treten soll, mehr Mittel für die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe zur Verfügung stehen müssen. Uneinig sind sie sich, woher die Mittel kommen sollen. Landesrätin Jahn betont erneut, dass die Vermögenden mehr Steuern zahlen sollen. Der Landeshauptmann setzt auf den Wirtschaftsaufschwung und verspricht, dass mit ihm Besserung kommen wird.
Appelle
700 Menschen bei einer Veranstaltung! Das zeigt, wie vielen das Thema unter den Nägeln brennt. Die Angehörigen wünschen sich eine sichere Zukunft für ihre Kinder, auch wenn sie als Eltern nicht mehr für sie sorgen können. Die Betroffenen wünschen sich Teilhabe an der Gesellschaft. Das braucht unterstützende Leistungen wie etwa die Persönliche Assistenz. Eine jugendliche Rollstuhlfahrerin wies mit emotionalen Worten auf ihre gesellschaftliche Benachteiligung hin: „Wir haben genauso das Recht, auf eine Party zu gehen“, schloss sie ihren Appell. Er bekam viel Applaus. Genauso auch der Appell, Kurzzeitplätze besser zugängig zu machen, oder der Appell, dass sich Unternehmen nicht mehr von der Einstellung von Menschen mit Beeinträchtigung „freikaufen“ dürfen.
Bedarf und Angebot
2013 waren in Oberösterreich 5416 Personen für zumindest eine Leistung nach dem Oö. Chancengleichheitsgesetz vorgemerkt. 13.474 Personen mit Beeinträchtigung konnten eine Leistung in Anspruch nehmen.
Im Bereich Arbeit (Fähigkeitsorientierte Aktivität, Geschützte Arbeit, B...) gab es etwa 2500 Vormerkungen und 6400 Leistungsbezieher/innen.
Bei 1374 Inanspruchnahmen warteten 1455 Personen auf Mobile Betreuung.
In der Persönlichen Assistenz standen 301 Menschen auf der Warteliste, 222 konnten Leistungen in Anspruch nehmen.
Um alle offenen Bedarfe in Oberösterreich abzudecken, wären zusätzlich 200 Millionen Euro notwendig.