Das einstige Rettungsauto ist kaum geparkt, die mitgebrachten Sessel und der Campingtisch stehen noch gar nicht auf ihrem Platz, da kommen schon die ersten Patienten. Für Obdachlose bietet das Help-mobil mehr noch als die so wichtige medizinische Versorgung.
Ausgabe: 2014/45, Caritas, obdachlos
04.11.2014
- Ernst Gansinger
Rudi ist fast zahnlos. – „Es bräuchte dringend auch eine niederschwellige Zahnmedizin“, sagt Caritas-Sozialarbeiterin Angela Mayrhofer beim Informationsgespräch, bevor wir uns an diesem Freitag, den 24. Oktober mit der mobilen Erste-Hilfe-Station auf den Weg machen. – Dieser Bedarf an Zahnmedizin ist bei allen Begegnungen des Abends nicht zu übersehen. Rudi kann kaum Zähne zeigen, aber seine Fürsorge für Menschen, mit denen er viel Zeit im Freien verbringt, ist alles andere als zahnlos. Er spricht von Otto, der kaum noch gehen kann. Michaela Haunold, die Leiterin des Projektes Help-mobil, fragt, ob Otto Unterwäsche brauchen kann. „Ja, bitte“, sagt der fürsorgende Rudi. „Und Socken?“ „Ja, bitte auch.“ Aber Otto bräuchte mehr. Sein Fuß müsste verbunden werden, ist Rudi verzweifelt, weil er gleichzeitig weiß, dass er seinen Freund kaum bewegen kann, selbst zu kommen. Zu groß sind dessen Scham und Angst und Kraftlosigkeit. Doch Michaela und Angela bestärken ihn, es doch zu versuchen. Mittlerweile stehen der Campingtisch und zwei Sessel mitten am Martin-Luther-Platz in Linz. Die Sozialarbeiterinnen, die vom Fahrer Patrick Köstlinger vom Samariterbund unterstützt werden, haben regen Zuspruch: zuhören, reden, raten, nachfragen, was sie brauchen können – das wiederholt sich vor und im Sanitäts-Auto mehrmals. Schließlich kommt Otto doch. Er geht mühsam. Dankbar nimmt er auf dem angebotenen Sessel Platz. Nein, den wunden Fuß will er sich nicht anschauen lassen. Rudi fleht verzweifelt, er soll doch. – Nein, Otto bleibt bei seiner Abwehr.
Hilfe kann man nicht aufzwingen
Doch den Tee und die Kekse und die Rast genießt er. Und dass sich jemand um ihn annimmt. Rudi hätte so gerne, dass er mehr zulässt. Aber Hilfe kann man nicht aufzwingen. Sozialarbeit ist vor allem ein Angebot. Angela und Michaela haben viel mit, was Ersthelferinnen brauchen. Bald werden auch ein Arzt und eine Krankenschwester mit dem Help-mobil mitfahren.
Straßenbewohner bleiben einsam
Zwei Stunden schon vor diesem Aufenthalt am Rande der hektischen Linzer Landstraße machte das Help-mobil bei der Herz-Jesu-Kirche am Bulgariplatz Station. Dort lässt sich ein Obdachloser, nachdem er zunächst auf Distanz bleibt, ansprechen, genießt das Gespräch und den heißen Tee. Als er erzählt, dass er in den Nächten im Wald schläft, sich bei Regen mit einem Regenschirm schützt, fragt ihn Michaela, ob er einen Schlafsack brauchen kann. Der Mann beginnt zu strahlen: „Ja, das wäre schön.“ Wie schön es ist, zeigen auch seine Finger und Hände, die jetzt schon – an einem noch nicht wirklich kalten Oktober-Abend – blau und klamm sind. Den Schlafsack bekommt er nächste Woche am gleichen Ort. Der Winter hat nun kein so bedrohliches Gesicht mehr. Und das Reden hat gut getan. – Auf der Straße sind zwar meist viele Leute, doch echte Straßen-Bewohner bleiben einsam.
Manfred muss ins Spital
Zurück zum Martin-Luther-Platz. Die Geschäfte schließen. Die Käufer/innen auf den Straßen werden weniger. Viele fein gekleidete Menschen kommen vorbei. Ihr Ziel muss ein Ball sein. Mitten in diesem Menschenstrom schiebt Rudi noch einen Freund – Manfred – zu Michaela und Angela heran. Manfred ist im Rollstuhl, ist ein Häufchen Elend. Er will, dass ihm die Füße verbunden werden, obwohl sie offensichtlich frisch verbunden sind. Aber sie tun so weh. Die Caritas-Mitarbeiterinnen und der Samariterbund-Helfer beginnen, die Binden aufzumachen. Bald stoppen sie, als sie sehen, dass der Fuß bis zur Hüfte offene Wunden hat. Manfred muss ins Spital. Er ist einverstanden damit. Die Rettung wird verständigt. Doch dann hält Manfred das Warten nicht mehr aus. Er will Wodka. Niemand ist bereit, diesen zu besorgen. Auch nicht Rudi. So rollt sich Manfred enttäuscht davon, bleibt in den Straßenbahngleisen hängen. Michaela schiebt ihn auf die andere Straßenseite. Dort steht er lange, versunken in seine Enttäuschung und Ausweglosigkeit. Nach längerer Zeit wird es ihm recht, ins Spital gebracht zu werden. – Helfende brauchen Geduld. Sie wissen, dass man mit Drängen nichts ausrichten kann. Dass man aber viel helfen kann, wenn man da ist.
Help-mobil
Im Juni 2014 haben fünf Einrichtungen in Linz eine medizinische Notversorgung für Obdachlose begonnen. Der Anstoß kam von den Barmherzigen Schwestern Linz, die mit dem Vinzenzstüberl viel Erfahrung in der Betreuung und medizinischen Versorgung obdachloser Menschen haben. Weitere Kooperationspartner sind der Arbeitersamariterbund OÖ, das Rote Kreuz Linz und der Lazarusorden sowie die Caritas, die das Projekt führt. Seit dessen Start wurden schon etwa 120 verschiedene Menschen mit dem Angebot erreicht: Auf der Straße bzw. im „Help-mobil“, einem ehemaligen Rettungs-Auto, werden Wunden versorgt, Krankengeschichten gehört und Hilfen gegeben. Bei schweren Fällen wird an Krankenhäuser und Fachärzte weiterverwiesen. Die häufigsten Krankheitsbilder, mit denen die Sozialarbeiter/innen der Caritas und die sich im Einsatz abwechselnden Fahrer von Rotem Kreuz bzw. Samariterbund konfrontiert werden, sind Erkältungen, Zahn- und Hautprobleme. Das Help-mobil ist an zwei Abenden im Einsatz. Einmal vor der Herz-Jesu-Kirche und auf dem Martin-Luther-Platz, das andere Mal auf dem Domplatz.
Spendenbitte. Für dieses und andere Projekte bittet die Caritas bei der Elisabethsammlung im November um Spenden auf das Spendenkonto IBAN: AT203400 0000 0124 5000; BIC RZOOAT2L, Kennwort: Elisabethsammlung