Seit vier Jahren tobt in Syrien ein grausamer Krieg, der bereits 250.000 Tote forderte und 12 Millionen Menschen in die Flucht trieb – mehr als die Hälfte davon Kinder. Caritas-Österreich-Auslandshilfechef Christoph Schweifer hat syrische Flüchtlinge in Jordanien besucht.
In einem heruntergekommenen Haus am Rand der Provinzstadt Mafraq lebt Abdel Baset mit seiner Familie; in zwei kleinen, schäbigen Räumen, mit Decken und Matratzen notdürftig eingerichtet. Im Halbdunkel liegt die 14-jährige behinderte Tochter im Dämmerschlaf. „Unser Haus hat kein Dach“, sagt der 37-jährige Syrer. Bloß eine Metallplatte und eine Stoffdecke schützen notdürftig vor der Witterung. Im Sommer ist es drückend heiß, im Winter bitterkalt.
Unerträgliche Situation
Abdel hatte als Taxifahrer in der syrischen Stadt Homs ein gutes Einkommen. Es reichte für ein kleines Häuschen am Rande der Stadt, wo er mit seiner Frau und drei Kindern lebte. Vor zweieinhalb Jahren wurde die Situation für die Familie unerträglich. „Die Kämpfe tobten Tag und Nacht. Meine Tochter ist schwer behindert und brauchte medizinische Hilfe, aber in der Stadt gab es nichts mehr“, erzählt der Flüchtling. Er bezahlte einem Schlepper rund 250 Dollar. Der brachte ihn und seine Familie abseits der Straßen quer durch das Kampfgebiet bis zur jordanischen Grenze.
Durch die Wüste geirrt
Die Reise mit dem Schlepper dauerte vier Tage. Abdel: „Am Ende ließ er uns aussteigen, einen Kilometer von der Grenze entfernt.“ Doch die Familie fand den richtigen Weg nicht, irrte 40 Kilometer ohne Wasser durch die Wüste und wäre beinahe gestorben, bevor sie vom jordanischen Militär aufgegriffen wurde. In der nordsyrischen Stadt Mafraq fand Abdel den winzigen Unterschlupf, für den er aber 140 Jordanische Dinar (ca. 175 Euro) Monatsmiete zahlt.
UNO-Hilfe zurückgefahren
Doch woher soll er das Geld für Miete, Lebensmittel und die medizinische Behandlung seiner Tochter nehmen? Die UNO-Organisation „World Food Programme“ hat ihre Unterstützung mit 1. August deutlich zurückgefahren, da sie von den Mitgliedsstaaten immer weniger Geld für die Flüchtlingshilfe bekommt. „Ein Skandal und ein klares Versagen der internationalen Gemeinschaft“, kann Caritas-Österreich-Auslandshilfechef Christoph Schweifer nur den Kopf schütteln. Die Caritas versucht nun, das Geld für die Miete und ein wenig Nahrung aufzutreiben. Den syrischen Flüchtlingen in Jordanien ist es streng verboten zu arbeiten. Es gibt schon genug einheimische Arbeitslose. Als Hilfsarbeiter hatte Abdel trotzdem bald einen schlecht bezahlten Job gefunden. Doch dann habe ihn die Polizei erwischt, und wenn sie ihn nochmals erwischen, dann werde er am Ende gar nach Syrien abgeschoben, fürchtet sich der Flüchtling.
Zukunft für Abdels Kinder
Der Caritas ist es gelungen, dass Abdels Söhne Ahmad (10) und Hamad (12) in Mafraq zur Schule gehen können. Keine Selbstverständlichkeit: Von den syrischen Flüchtlingskindern können nur rund die Hälfte die Schule besuchen, es fehlt schlicht am Platz. In den jordanischen Schulen wurde längst der Schichtbetrieb eingeführt: Am Vormittag werden die jordanischen Kinder unterrichtet, am Nachmittag die syrischen – zumindest einige.
Hilfszentrum in Mafraq
Im Pater-Pio-Zentrum der katholischen Pfarre in Mafraq hat die Caritas eines von insgesamt zehn Hilfszentren im Land eingerichtet. Täglich kommen Hunderte Menschen. Sie werden registriert, über ihre Lebenssituation befragt und erhalten u. a. Coupons, die sie in lokalen Geschäften gegen Nahrungsmittel eintauschen können. Alle Besucher und alle Hilfeleistungen werden von den Caritas-Mitarbeitern genauestens dokumentiert. Nur wer wirklich Hilfe braucht, bekommt sie auch. Doch das sind hier in Mafraq so gut wie alle.
Flugzeuge brachten Bomben
Im Caritas-Zentrum gibt es auch eine kleine medizinische Abteilung, wo Dr. Ishan Ibrahim pro Tag bis zu 40 Personen behandelt. Vor allem die Kinder machen ihm Sorgen, erzählt der Arzt: Viele Neugeborene würden bereits an chronischer Bronchitis leiden, bedingt durch die miserablen Lebensumstände in den Flüchtlingsbehausungen. Die älteren Kinder seien durch den Krieg traumatisiert. „Die Kinder sind entweder lethargisch oder auffallend aggressiv. Wir haben viele Bettnässer und viele geraten in Panik, wenn sie Lärm ausgesetzt sind oder beispielsweise ein Flugzeug hören“, erklärt der Arzt. In ihrer Heimat Syrien brachten die Flugzeuge Bomben, Tod und Terror. Die Caritas versucht, mit psychologischen Hilfsangeboten das Leid der Kinder und ihrer Eltern zu lindern.
Flüchtlingscamp Zaatari
Bisher wurden in Jordanien rund 630.000 Syrer offiziell als Flüchtlinge registriert, die Dunkelziffer liegt freilich viel höher. Schätzungen reichen bis zu 1,5 Millionen Syrer im Land. Mehr als die Hälfte der Syrien-Flüchtlinge sind Kinder. Das kleine Jordanien ist damit am Ende seiner Kapazitäten angelangt. Die Dimensionen der Krise sind kaum vorstellbar: So hatte etwa die nordjordanische Stadt Mafraq vor dem Syrien-Krieg rund 70.000 Einwohner. Nun sind durch den Konflikt rund 80.000 Syrer in der Stadt hinzugekommen. Im Flüchtlingscamp Zaatari leben nochmals 82.000 Menschen. Das Lager, rund sechs Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, ist das zweitgrößte Flüchtlingscamp der Welt. Zelte, Wohncontainer, Stromkabel, Wäscheleinen und Wasserfässer erstrecken sich bis zum Horizont. Dazwischen auch zahlreiche kleine Läden, wo man das Notwendigste zum Leben erwerben kann. Allein um die Menschen mit Wasser zu versorgen müssen täglich vier Millionen Liter herangeschafft werden. Auch einige Krankenhäuser und Schulen gibt es bereits. Viele Flüchtlinge leben bereits seit mehr als zwei Jahren im Flüchtlingslager. 54 Prozent der Bewohner sind unter 18. 93 Prozent der Jugendlichen zwischen 16 und 24 Jahren haben keine Arbeit. „Hier wächst eine verlorene Generation heran“, warnt Christoph Schweifer bei seinem Lokalaugenschein vor Ort.
Hilfe ist notwendig
Nachdem die UNO immer weniger Geld für syrische Flüchtlinge zur Verfügung gestellt bekommt, wird das Leben für die Menschen nun noch härter. Viele Flüchtlinge wollen sogar schon wieder zurück nach Syrien. „In Syrien sterben wir ein Mal, hier in Jordanien jeden Tag“, wurde bereits zum geflügelten Wort. Abdel will vorläufig noch bleiben. Er weiß aber, dass er ohne Caritas-Hilfe für seine Kinder schon in wenigen Tagen nichts mehr zu essen hätte. Christoph Schweifer drückt ihm die Hand und zieht Resümee: „Wir können in Österreich und in Europa nicht so tun, als ginge uns dieser Krieg hier nichts an. Unsere Hilfe ist mehr denn je notwendig.“ Ob Abdels Söhne Ahmed und Hamad auch weiterhin die Schule besuchen können, entscheidet sich nicht zuletzt auch in Österreich. - Infos: www.caritas.at/hunger
Interview
„Menschen fliehen aus Verzweiflung“
Caritas-Auslandshilfechef Christoph Schweifer besuchte ein Flüchtlingslager in Jordanien, um sich vor Ort einen Überblick über die Situation der Flüchtlinge zu machen.
Sie wirken nach Ihrem Lokalaugenschein sehr betroffen? Ich komme gerade von einem Ehepaar mit zwei Kindern. Sie wohnen in einem winzigen Häuschen, das mit Caritas-Hilfe bewohnbar gemacht wurde. Der Mann war in Syrien im Gefängnis und wurde gefoltert. In Jordanien darf er legal nicht arbeiten. Jetzt bekommt die Familie von der UNO weniger Geld für Lebensmittel. Diese Menschen haben keine Perspektive. Die UNO-Organisation „World Food Programme“ (WFP), welche die Flüchtlinge bisher mit 24 Jordanischen Dinar (30 €) pro Person und Monat für Nahrungsmittel unterstützt hat, fährt ihre Hilfe deutlich zurück, weil sie von den Ländern immer weniger Geld bekommt. Das ist ein Skandal, ein klares Versagen der internationalen Gemeinschaft.
Was hat das für Folgen? Familien haben weniger zu essen, Kinder können nicht mehr in die Schule gehen, sondern müssen arbeiten. Mädchen im Alter von 14 Jahren werden zwangsverheiratet, damit sie von jemand anderem versorgt werden, weil es die eigene Familie nicht schafft. In dieser furchtbaren Situation ist es verständlich, dass die Leute nach Europa kommen wollen: Sie fliehen aus purer Verzweiflung.
Was heißt das für Österreich? Wir können nicht so tun, als ob uns der Krieg in Syrien nichts angeht. Wir müssen helfen: jenen, die nach Jordanien und in die anderen Nachbarländer von Syrien geflohen sind, und jenen, die zu uns kommen. Diese Aufgabe ist bewältigbar.