Diskretes und Indiskretes von Eheleuten in Pension
Ausgabe: 1998/36, vertauschte Rollen
01.09.1998 - Hilde Ehrenberger
Mein Mann kann mit Kranken überhaupt nichts anfangen. Als ich einmal auf Kur war, hat er mich besucht. „Einmal und nie wieder! Diese Atmosphäre halte ich nicht aus.“ Und er weigert sich standhaft, mit mir ins Thermalbad zu fahren, weil er nicht nur lauter „Marode“ sehen möchte. Langsam aber sicher ist in mir die Einstellung gewachsen, daß ich ihn, wenn es einmal soweit sein wird, nach Möglichkeit zu Hause betreuen werde. Also habe ich diverse Hauskrankenpflegekurse absolviert, um für alle Fälle gerüstet zu sein.Und jetzt liege ich da und kann mich nicht rühren. Scheußliche Sache. Was nützt der beste Vorsatz, den Mann zu pflegen, wenn man auf nassen Blättern ausrutscht, auf einmal daliegt, vor Schmerzen ohnmächtig wird und dann nur noch wimmert. Mein Mann schreit: „Beweg die Zehen!“ Dann ruft er die Rettung – später hat er mir gestanden, daß er in Panik war, als ich mich nicht rühren konnte und er den Gedanken an eine Querschnittlähmung nicht los wurde.Schambeinbruch. Lange und mühsam mußte ich wieder gehen lernen.Als ich aus dem Spital entlassen wurde, brachte mich die Rettung nach Hause und legte mich einfach aufs Bett. „Wie wird das nun werden?“ fragte ich bang, und die Tränen rannen mir herunter. „Wir werden es schon schaffen“, tröstete mich mein Mann zuversichtlich. „Vorderhand habe ich einmal alles abgesagt und werde dich pflegen. Jetzt bin ich eben nur für dich da.“Ich konnte nicht anders, ich schluchzte. Er sah mich so warm an, wie mich nur mein geliebter Spötter anschauen kann. Ich wollte nach dem Taschentuch greifen, aber die Bewegung verstärkte die Schmerzen. Er zog sein Taschentuch heraus und wischte mir über das Gesicht. „Nonono“, sagte er, „es wird schon werden. Jetzt leg einmal die Arme um meine Schulter – horuck – und jetzt in die Höhe.“Ich stöhne vor Schmerz.„Auf – ich zieh’ dich. Wenn deine Füße nicht wollen, schiebe ich mit meinen hinten nach.“So haben wir eine ganz patente Methode entwickelt, mit der mich mein Mann ins Badezimmer und auf die Toilette brachte. Mit großer Geduld und Behutsamkeit hat er sich um mich gekümmert.Aber mein Problem war, daß ich diesen Rollentausch schwer aushielt. Auszuhalten, daß man hilflos ist, angewiesen auf den kleinsten Handgriff des Helfers, ist eine verdammt schwierige Situation. Was auch immer jetzt kommt: Ich weiß um beide Seiten. Die pflegerische kenne ich theoretisch, die des Gepflegtwerdens aus der Praxis. Ich denke, das ist eine gute Erfahrung.