Um 3 Uhr nachts läutet dasTelefon. Als wär’s ganznormal am Tag, greift Beate zum Hörer und hebt ab.
Was andere vermutlich maßlos ärgern würde, ist für Beate – die Redaktion hat den Namen geändert – Alltag. Zumindest dann, wenn sie sich in den Räumlichkeiten der Telefonseelsorge in Innsbruck aufhält. Vor zwei Jahren hat die vierfache Mutter den Wunsch nach einer neuen Aufgabe verspürt. Sie suchte eine Tätigkeit außerhalb der Familie. „Ich bin dankbar, dass es mir gut geht. Darum will ich ein Stück meiner Zeit für andere Menschen zur Verfügung stellen“, sagt sie.Für Beate kam nur eine ehrenamtliche Tätigkeit in Frage. Bei der Telefonseelsorge der Diözese Innsbruck ist sie fündig geworden. Seither verbringt sie dort im Monat 15 Stunden. Auch Nachtdienste gehören dazu.
Zufriedener geworden
Beate ließ sich vom Gedanken leiten, anderen Menschen Gutes tun zu wollen. Sehr bald jedoch machte sie die Erfahrung: „Ich bekomme auch etwas geschenkt.“ Am Telefon gäben ihr Menschen Einblick in Lebenssituationen, die sie sonst nie kennen gelernt hätte. Die Anfrufer sprächen mit ihr offen über Sorgen und Ängste, manchmal würden sie ihre gan-ze Lebensgeschichte ausbreiten.
Durch diese Gespräche sieht Beate ihr eigenes Leben mit anderen Augen als zuvor: „Ich bin mit meinem eigenen Schicksal zufriedener geworden.“ Auch ihre Familie habe das registriert: „Mein Mann sagt, ich komme vom Dienst in der Telefonseelsorge immer so fröhlich nach Hause.“Wenn sie ihren Dienst versieht, ist Beate mit unzähligen Lebensthemen konfrontiert. Kranke Menschen rufen an, verzweifelte, junge Menschen mit Liebeskummer, Menschen mit Partnerschaftsproblemen. „Es ist die ganze Bandbreite des Lebens, die mir hier begegnet.“
Beate ist bemüht, sich auf jedes Gespräch offen und ohne Vorurteile einzulassen. Sie verzichtet darauf, am Telefon gut gemeinte Ratschläge zu geben. „Ich versuche, das geschilderte Problem so zu beleuchten, dass die Anrufer selbst zu einer Lösung finden.“ Viele Menschen seien froh, überhaupt mit jemandem über ihre Sorgen sprechen zu können. „Wenn sich dann noch Probleme lösen lassen, ist das besonders schön.“
Mit Bauchweh ans Telefon
Um sich auf ihren Einsatz vorzubereiten, hat Beate eine spezielle Ausbildung durchgemacht. In Wochenend- und Abendseminaren lernte sie, Beratungsgesprä-che am Telefon zu führen. Nach der Ausbildung durfte sie erstmals gemeinsam mit einer weiteren Person ans Telefon. „Mit Bauchweh“, wie sie heute noch in Erinnerung hat. Und dann kam der Augenblick, in dem sie erstmals allein im Zimmer saß. „Beim ers-ten Mal hat überhaupt niemand angerufen“, erinnert sich Beate. Doch seither hat sie in jedem Dienst zum Telefon gegriffen – tagsüber und mitten in der Nacht.
Rückhalt im Team
So mancher Einblick in schwere Lebenssituationen anderer Menschen geht Beate ans Herz. Allein gelassen ist sie mit ihren Sorgen aber nicht. Schon der Schichtwechsel gibt Gelegenheit, sich auszusprechen. Regelmäßig treffen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Supervision. Das Telefonseelsorge-Team umfasst derzeit 60 Frauen und Männer. Sie kommen aus allen Berufsgruppen und aus jeder Altersschicht. „In diesem Team erfahre ich Geborgenheit, auch wenn mir eimal ein Gespräch zu Herzen geht“, erzählt Beate. Sie hat hier eine Gemeinschaft gefunden, die sie nicht mehr missen möchte.
Gefragte Gesprächspartnerin
Dass Beate heute professionell zum Telefon greift, hat seine Wurzeln in der Vergangenheit. „Ich war schon immer eine gefragte Gesprächspartnerin“, erzählt sie. Damals sind es Freunde gewesen, die mit Beate ihre Sorgen besprochen haben. Heute rufen Menschen aus ganz Tirol an, ohne ihr jemals persönlich zu begegnen. Die eigene Familie steht hinter dem Engagement von Beate. Einen Wermutstropfen gäbe es allerdings, ist Beate amüsiert: Die Kinder dürfen anderen gegenüber nicht vom „Job“ ihrer Mama erzählen. Denn die Anonymität ist bei der Telefonseelsorge groß geschrieben.