Ein Paar verliert die „paradiesische Unschuld“ und muss Verantwortung übernehmen für ihr Leben und Auskommen.
Als Adam und Eva einander kennen lernen, haben sie noch nicht die geringste Ahnung vom Leben. Wie auch . . . es hat ja gerade erst alles begonnen . . . Die beiden sind einander zugetan wie Bruder und Schwester. Von Gott geschaffen, gesegnet und mit der Aufgabe des Hütens und Behütens betraut, haben sie alles, was sie brauchen. Sie kennen keine ernsten Sorgen und Beschwernisse. All das kommt erst später. Im Anschluss an den zweiten Schöpfungsbericht (Genesis 2, 4–24) wird uns erzählt, dass da plötzlich mehr war als die Sorglosigkeit. Der Baum hatte besonders ansehnliche und gute Früchte. Martin Buber übersetzt folgendermaßen: „Das Weib sah, dass der Baum gut war zum Essen und dass er eine Wollust den Augen war und anreizend der Baum, zu begreifen.“ (Genesis 3, 6)
Gut und Böse erkennen
An diesem paradiesischen Ort gibt es mehr als alles – es gibt den unwiderstehlichen Anblick, die Wonne, die Sinnenlust und den Anreiz, der die Frau zu ihrer ersten Handlung verführt. Sie nimmt von der Frucht und isst und gibt auch ihrem Mann davon zu essen. Von Gott zur Rede gestellt weist der Mann sofort jede Schuld von sich und sagt: Die Frau, Herr, die du mir gegeben hast . . . Auch sie verweist auf jemand anderen, auf die Schlange . . . Und wenn diese reden könnte? Was sie nach dieser Tat erkennen, ist reichlich wenig – sie sind nackt und bloß, sie haben sich einander ausgeliefert, sich preisgegeben. Das ist zwar nicht tödlich, wie die Schlange richtig feststellte (Genesis 3, 4), aber sehr ernüchternd.Gott hat erkannt, was diesen Menschen zuteil wurde – die Urteilsfähigkeit und das Bedürfnis nach eigenständigem Handeln. Er ermöglicht es ihnen, nach dieser Handlung die Konsequenzen für ihr Tun zu tragen: Die Frau wird unter Beschwernis Kinder gebären und sich nach ihrem Mann sehnen. Der Mann wird im Schweiß seines Angesichts den Acker bestellen und sein Brot essen. Und letztlich werden beide, wenn es Zeit ist, sterben.Jetzt beginnt das eigentliche Leben für beide. Der Mensch nennt seine Frau „Chawa“ – Eva (bedeutet „Leben“), und sie wird die Mutter alles Lebendigen werden. Gott kleidet die beiden, indem er ihnen Röcke bereitet und schickt sie hinaus aus dem Garten der Sorglosigkeit.
Zwei entscheidende DingeMit dieser Handlung Gottes beginnt eine neue, eine andere Beziehung zwischen den beiden. Zueinanderstehen ist jetzt gefragt, besonders nach dem Verlassen des Paradieses. Solidarität ist nötig. Das Nebeneinander im Paradies muss zum Miteinander außerhalb des Gartens werden. Es ist, als ob beide endlich erwachsen würden. Sie haben die Unschuld verloren und müssen Verantwortung übernehmen für ihr Leben und Auskommen. Sie müssen einen Umgang miteinander lernen, der eine Beziehung ermöglicht, die auch den Tod und die Schuld der Kinder aushalten wird. Beide – Eva und Adam werden zu einem Paar, das sich entwickelt – vom kindhaften Zustand im Paradies hin zu verantwortlich und respektvoll handelnden Partnern. Als sie gereift sind, als beide etwas spüren vom Heilsein und von der Vergebung Gottes, da schenkt Gott ihnen Kinder. Zunächst Kain und Abel. Später wird noch ein Kind geboren, Set (Genesis 4, 25), und er ist es, auf den sich die zahlreiche Nachkommenschaft des ersten Elternpaares beruft. Adam und Eva lernen in ihrem Leben zwei ganz entscheidende Dinge: Die Arbeit und den Blick weg von sich selbst. Die Arbeit – des Ackers und des Gebärens – ist es, die das Leben sinnvoll macht. Der Blick weg von sich selbst hin auf die Zukunft, die Wertschätzung des anderen und der Wille zum Guten machen das Leben, und sei es noch so beschwerlich, lebenswert und gut. Darin liegt eine Ahnung von Himmel.