Vor einem Jahr sind der „Süddeutschen Zeitung“ anonym vertrauliche Dokumente – die so genannten „Panama-Papers“ – einer Kanzlei in Panama, die Briefkastenfirmen anbietet, zugetragen worden. Infolge hat ein weltweites Journalisten-Netzwerk diese Daten aufgearbeitet und am 3. April veröffentlicht. Zahlreiche Geldwäsche- und Steuerdelikte kamen dabei ans Tageslicht. Sozialethiker Klaus Gabriel nimmt dazu Stellung.
Wie ist Ihre Einschätzung zu den „Panama-Papers“, die durch ein Datenleck enthüllt wurden? Klaus Gabriel: Dass Steueroasen wie Panama ein zentrales Problem darstellen, wissen wir schon seit vielen Jahren, das ist kein neues Thema. Bereits vor der Finanzkrise hat es Hinweise gegeben, dass das ein sehr problematischer Bereich ist, weil er dazu beiträgt, dass Verschleierungen und Ungerechtigkeiten damit gefördert werden. Jetzt mit dieser Veröffentlichung von mehr als 200.000 Brief-kastenfirmen, die in oder über Panama gegründet wurden, ist es noch einmal deutlicher geworden, welche Dimension das hat und es hoffentlich ein Anstoß ist, dass die Politik hier noch stärker daran arbeiten muss, Steueroasen möglichst auszutrocknen.
Geschäfte, die über Briefkastenfirmen in Steueroasen laufen, sind ja nicht nur illegal, sondern zum Teil auch legal ... Klaus Gabriel: Im Wesentlichen geht es darum, dass man die Möglichkeiten, die mit Briefkastenfirmen einhergehen, erkennt. Es wird immer argumentiert, dass beispielsweise Steuervermeidung seine Berechtigungen hat und legal ist. In einer gewissen Weise ist das richtig, wenn keine Gesetze gebrochen werden, das heißt: wenn keine Steuern hinterzogen werden, wenn keine Sanktionen umgangen werden oder wenn keine Geldwäsche betrieben wird. Doch wenn Fälle nie vor Gericht kommen, weil sie verschleiert sind, dann kann man auch nicht feststellen, ob sie legal sind oder nicht. Das ist das eine Problem. Dazu kommt, dass nicht alles, was legal ist, auch legitim ist.
Das gilt es, zu unterscheiden ... Klaus Gabriel: Ja. Es hat in der Geschichte Fälle gegeben, die als legitim, als allgemein berechtigt und zulässig erachtet und gemacht worden sind, etwa die Sklaverei. Im Laufe der Zeit sah man dann, das ist unmoralisch und man entschied sich dafür, das gesetzlich zu verbieten. Solch eine Vorgehensweise könnte jetzt auch im Hinblick auf die Steueroasen an den Tag gelegt werden, indem man sagt, das ist etwas, das gesellschaftlich unerwünscht ist, und es müssten, wenn die Menschen nicht auf freiwilliger Basis erkennen, dass das falsch ist, entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Da geht es um Grenzen der Moral ... Klaus Gabriel: Genau. Das ist das Zentrale. Große Unternehmen, die ihre Gewinne in Ländern versteuern, in denen es die geringsten Steuerquoten gibt, tun ja nichts Ungesetzliches. Das ist im eigentlichen Sinne legal, und trotzdem empören wir uns darüber und erachten das als unmoralisch, als illegitim. Es ist die Idee von Moral, dass man über die Dinge, die in der Welt passieren, nachdenkt und dann sagt, was können wir erwarten, dass es ohne gesetzliche Regelungen funktioniert; und wo müssen wir gesetzliche Regelungen setzen, wenn wir davon ausgehen müssen, dass Dinge nicht funktionieren. Gerade der Bereich der Steuervermeidung ist einer, wo wir jetzt sehen, dass es auf freiwilliger Basis nicht passiert. Teilweise herrschen Mechanismen, die Akteure sogar zwingen, auf diese Weise zu agieren. Wenn sie sich einen Firmenchef vorstellen, der die Möglichkeit der Steuervermeidung nicht ergreift, auch wenn sie legal ist, dann ist er wahrscheinlich die längste Zeit Firmenchef gewesen.
Was kann getan werden, um Schlupflöcher zu vermeiden? Klaus Gabriel: Ein einzelnes Land kann in dem System wenig bewirken, aber ein großer Wirtschaftsraum wie Europa könnte das schon. Je mehr sich Europa dahingehend positioniert, desto besser ist es. Das ist natürlich eine harte politische Auseinandersetzung, weil jedes Land große Eigeninteressen hat. Solange aber einige Länder nicht mitspielen, wird es diese Schlupflöcher auch weiterhin geben.