Was können die Religionen zur nachhaltigen Entwicklung beitragen? Kurz vor dem Weltgebetstag zur Bewahrung der Schöpfung diskutierte darüber beim Europäischen Forum Alpbach die interreligiöse Initiative „Ethics in Action“. Ihr Mitbegründer Kurienbischof Marcelo Sánchez Sorondo nennt es eine Aufgabe der Kirche, den Menschen die Wahrheit über den Klimawandel zu sagen.
Ausgabe: 2017/35
29.08.2017
- Heinz Niederleitner
Am 1. September begeht die Kirche den Weltgebetstag für die Bewahrung der Schöpfung. Welchen Einfluss kann die Kirche hier nehmen?Marcelo Sánchez Sorondo: In der Enzyklika „Laudato si’“ von Papst Franziskus geht es im ersten Schritt darum, die Situation unseres Planeten wahrzunehmen – ich bevorzuge vom „Planeten“ und nicht von „Schöpfung“ zu sprechen, denn „Schöpfung“ bedeutet eigentlich mehr als wir hier meinen. Die Gedanken, auf denen „Laudato si’“ basiert, fußen auf wissenschaftlicher Vernunft: Wir müssen uns vor Augen führen, dass das Handeln von Menschen, wie die Nutzung von Erdöl, zu globaler Erwärmung führt. Also müssen wir zu sauberer Energie wechseln. Die Kirche hat die Verpflichtung, den Menschen zu sagen: „Wir sind in dieser Situation und wir müssen etwas ändern.“ Zu einem gewissen Teil kann die Kirche selbst ihren Beitrag leisten. Aber sie muss auch daran erinnern, die Abkommen gegen die Klimaerwärmung einzuhalten, und auf die sozialen Folgen des Klimawandels hinweisen: viele Flüchtlinge und neue Formen der Sklaverei.
Sie sprechen die Vernunft an: Heißt das, die Kirche muss wissenschaftliche Forschung gegen jene verteidigen, die den Klimawandel leugnen?Sánchez Sorondo: Wenn der Papst wie in „Laudato si’“ eine Position einnimmt, gehört das klarerweise zum Lehramt der Kirche. Es ist ja nicht das erste Mal, dass die Kirche Gedanken von außen übernimmt. Die Idee des Gemeinwohls beispielsweise stammt aus den Schriften des Aristoteles. Die Idee der menschlichen Person kommt aus der neuzeitlichen Philosophie. Das Verständnis der Dreieinigkeit wurzelt auch in der Philosophie und steht nicht direkt in den Evangelien. In vergleichbarer Weise hat Papst Franziskus in „Laudato si’“ Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschung übernommen. Die Vernunft zu verteidigen, heißt hier: Den Menschen sagen, was das Problem ist, und eine Lösung aufzeigen: zu sauberer Energie zu wechseln.
Nun, US-Präsident Donald Trump spricht von „sauberer Kohle“...Sánchez Sorondo: Wir brauchen keine Wortwitze. Es ist doch klar, worum es geht.
Papst Johannes Paul II. hat Glaube und Vernunft als die zwei Flügel des menschlichen Geistes bezeichnet. Gläubige werden aber mitunter damit konfrontiert, dass jemand Vernunft als Argument gegen den Glauben oder die Lehre der Kirche verwendet. Wie antwortet man darauf?Sánchez Sorondo: Wenn Vernunft wirkliche Vernunft ist, in der Wahrheit wurzelt und sich nicht gegen die christliche Offenbarung wendet, erkennen wir ihre Konsequenzen an. Vernunft und Glaube arbeiten nicht gegeneinander, sondern zusammen.
Lassen Sie mich ein konkretes Beispiel bringen: Es heißt manchmal, die Lehre der Kirche in Bezug auf Geburtenkontrolle sei ein Hemmnis bei der Lösung des Problems der Überbevölkerung ...Sánchez Sorondo: Aber es ist doch gar nicht klar, dass die Vernunft erfordert, von Überbevölkerung auszugehen. Wir erachten einen solchen Standpunkt nicht als Ergebnis der Vernunft: Zu diesem Thema gibt es viele verschiedene Meinungen. Wir nehmen etwas als Frucht der Vernunft an, wenn die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung zu einer übereinstimmenden Auffassung geführt haben.
Womit befassen Sie sich generell in den Päpstlichen Akademien der Wissenschaften und der Sozialwissenschaften?Sánchez Sorondo: Es geht darum, die Wissenschaften weiterzuentwickeln und eine gemeinsame Einschätzung zu erreichen – im Speziellen bei wichtigen Themen. Im Fall des Klimawandels war die Päpstliche Akademie der Wissenschaften eine Vorreiterin: Die beiden Nobelpreisträger Paul J. Crutzen und Mario J. Molina sowie der Forscher Veerabhadran Ramanathan haben früh zu den Themen Klima, Atmosphäre und Ozonloch geforscht. Sie alle sind Mitglieder unserer Akademie. Wir haben uns mit dem Thema vom ersten Moment an auseinandergesetzt.
Was ist die eigentliche Aufgabe der von Ihnen 2016 mitgegründeten Initiative „Ethics in Action“, der Vertreter/innen aller großen Weltreligionen angehören?Sánchez Sorondo: Wir wollen zu konkreten Handlungen kommen. Denn wir brauchen zur Verteidigung der Menschenwürde und des Respekts gegenüber dem Planeten nicht nur noch mehr Worte, sondern Handeln. Es ist dazu nicht notwendig, die verschiedenen Vorstellungen in Hinblick auf Gott zu diskutieren. Religionen können stattdessen bei ethischen Themen zusammenarbeiten.
Wird das nicht schwieriger? Die katholische Kirche ist etwa strikt gegen die „Ehe für alle“, also auch für homosexuelle Paare. Teile der evangelischen Kirchen haben keine Probleme damit.Sánchez Sorondo: Da müssen wir etwas auseinanderhalten: Wenn Sie ein Bild von Caravaggio anschauen, werden vermutlich alle zustimmen, dass es ein wichtiges Werk ist – auch wenn einer sagt: „Da gibt es einen Bildteil, der mir nicht gefällt.“ Das bedeutet: Wir brauchen eine Hierarchie der Übereinstimmung. In manchen Fragen können wir uns darauf einigen, dass wir uns nicht einig sind. Aber im Ganzen sind wir uns einig.
Warum sind Sie mit „Ethics in Action“ nach Alpbach gekommen? Sie treffen sich doch normalerweise im Vatikan?Sánchez Sorondo: Wir wurden eingeladen und zu dieser Jahreszeit ist das Klima hier besser als in Rom (schmunzelt). Aber ernsthaft: Wir haben erkannt, dass das Europäische Forum Alpbach eine großartige Institution ist, die uns Möglichkeiten eröffnet. «
Marcelo Sánchez Sorondo
Der Kurienbischof ist Kanzler der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften und der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften. Zudem ist er Sekretär der Päpstlichen Akademie des heiligen Thomas von Aquin. Zuvor lehrte der aus Argentinien stammende Geistliche als Professor an römischen Universitäten Geschichte der Philosophie.