Ein Blick auf die Ratgeber-Landschaft zeigt: Feng Shui-Experten, Persönlichkeitstrainer, Fitnesscoaches und Friedhofspflanzenberater werden mehr. Für jedes Problemfeld ein Experte, für jeden Lebensabschnitt ein Seminar. Sind wir ohne Ratgeber/innen hilflos?
ELISABETH LEITNER
„Ich weiß nicht mehr weiter, meine Ehe ist am Ende!“, „Ich will mehr aus meinem Leben machen!“, „Ich möchte mich beruflich verändern, hab aber keine Ahnung, wohin“ – Sätze wie diese fallen oft in den Räumlichkeiten von Psychotherapeut/innen, Lebensberatern und Coaches.
„Die Menschen brauchen Berater, weil sie hilflos sind“, analysiert der Grazer Soziologe Manfred Prisching die heutige „Ratgeber-Gesellschaft”.
Nach dem Motto „Wer muss ich werden, damit ich jemand bin“ steht der einzelne Mensch im Rampenlicht. Die eigene Identität soll in einer Welt, die stets im Wandel begriffen ist, Sicherheit geben. Jede/r einzelne ist gefordert, sein „Ich“ zu basteln. Die Lebensgestaltung, die keine Chance der Weiterentwicklung ungenützt lässt und alle Alternativen ausschöpft, bietet ungeahnte Möglichkeiten der Selbstentfaltung. Vom Selbstsicherheitstraining geht´s zum Selbstmanagement-Seminar. Aktuelle Kursangebote und Ratgeber bestätigen diesen Trend.
„Ich kann alles“
Das Gefühl „Ich kann alles aus mir machen, wenn ich mich nur genügend anstrenge“ erzeugt jedoch im gleichen Atemzug enormen Druck. Der Zwang zum Glück, für das jede/r selbst verantwortlich ist, fordert seinen Preis. Viele sind damit überfordert, aus der Fülle der Möglichkeiten, ständig das passende „Ich“ zu formen. Verhaltensweisen, Moden, Wohnungseinrichtung, Musikgeschmack, Freizeitgestaltung: Die Welt des Konsums wirft täglich ein neues Angebot auf den Markt. Traditionsverlust als Lücke. Ratgeber in Buchform und Berater/innen reagieren auf diese Herausforderung und bieten ihre Unterstützung in allen Lebenslagen an. Der Verlust an Traditionen und Riten zur Lebensbewältigung hinterlässt eine Lücke. Lebenserfahrung und -deutung, die früher von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurde, liegt heute vielfach in den Händen von bezahlten Expert/innen. Braucht jede/r einen „Lebenscoach“, der einen durchs Leben führt? Prisching sieht den Menschen damit in den Zustand der „selbstgeschaffenen Unmündigkeit“ eintreten.
Unübersichtliche Ratgeber-Gesellschaft
Die Qualität der Berater/innen ist dabei recht unterschiedlich. Während die einen jahrelang in ihre Ausbildung investieren (etwa Psychotherapeut/innen, Dipl. Ehe-, Familien- und Lebensberater), genügt anderen der Besuch eines Seminars und Intuition, um sich als Experte in Sachen Lebensgestaltung anzupreisen. Ein bisschen Feng Shui, ein wenig „Channeln“, ein paar Tropfen Engelspray – und die Welt ändere sich von selbst, wird suggeriert.
Gute Beratung
Qualitätsvolle Beratung in bestimmten Lebensphasen befähigt Menschen, ihr Leben bewusst zu gestalten und selbstbestimmt zu handeln. Sie entmündigt nicht, sondern befreit den Menschen. Auch von überzogenen Erwartungen an sich selbst und seine Umwelt. Gute Therapeut/innen wollen nicht die Abhängigkeit ihres Klienten, sondern ermutigen dazu, den verborgenen Wünschen auf den Grund zu gehen, den eigenen Gefühlen wieder zu trauen, selbst zu denken. Sie sind Hilfe zur Selbsthilfe. Gut beraten ist, wer die Beratung nach diesen Qualitätsmerkmalen auswählt.
Lektüretipp: Leben nach Rezept, Theol. Praktische Quartalschrift der KTU, 2/2006.
STICHWORT
Psychotherapie
Ziel der Psychotherapie ist es, seelisches Leid zu heilen oder zu lindern, in Lebenskrisen zu helfen, gestörte Verhaltensweisen und Einstellungen zu ändern sowie die persönliche Entwicklung und Gesundheit zu fördern. Die Ausübung der Psychotherapie ist seit 1991 gesetzlich geregelt. Die Ausbildung dazu dauert mindestestens sechs Jahre.
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Lebensberatung
Lebens- und Sozialberatung ist eine beratende, betreuende und begleitende Tätigkeit, die Menschen in schwierigen sozialen, emotionalen Situationen Hilfestellung anbietet. Lebensberatung ist ein gebundenes Gewerbe und seit 1. Jänner 1989 neben Medizin, Psychologie und Psychotherapie die vierte Säule im Gesundheitswesen. Tätigkeitsfelder sind u. a.: Persönlichkeitsberatung, Umgang mit Gefühlen, Krankheit, Tod, Partnerschafts- und Eheberatung, Familienberatung. Info: BEZIEHUNGSLEBEN.at, Tel. 0732/77 36 76.
Coaching
Mit „Coach“ war ursprünglich die Kutsche gemeint, später dann der Kutscher, der die Pferde führt und lenkt. Ein Coach begleitet Personen und/ oder Gruppen im beruflichen Umfeld. Coaching ist zeitlich begrenzt und hat ein konkretes Ziel vor Augen.