Die Würde des Menschen ist durch sein Mensch-Sein begründet � und nicht durch erbrachte Leistung oder Bewusstseinsarbeit. � Was alles hinter dem Begriff Menschenwürde steckt, beleuchteten acht Referent/innen der ökumenischen Sommerakademie im Stift Kremsmünster von 12. bis 14. Juli 2006.
Spannend gestalteten sich die drei Tage für die 450 Zuhörer/innen in Kremsmünster. Die Referent/innen aus dem In- und Ausland ermöglichten unterschiedliche Zugänge zum Thema �Von Gott verlassen � Menschenwürde und Menschenbilder� (siehe �Zur Sache�). Dass im Rahmen der Tagung keine Patentlösungen für den Umgang mit den Worten Menschenrecht bzw. Menschenwürde geboten wurde, spiegelt die Vielschichtigkeit der momentanen gesellschaftlichen Situation wider. Menschenrechte für alle. Der Frankfurter Erziehungswissenschafter Micha Brumlik betonte in seinem Vortrag die zentrale Rolle des Judentums bei der Entwicklung von Menschenrechten und Menschenwürde. Sind Menschenrechte und Menschenwürde als Element der jüdisch-christlichen Tradition für alle Kulturen gültig? Der Salzburger Dogmatiker Joachim Sander erklärte dazu, dass es in jeder Kultur Täter und Opfer gäbe, daher seien auch die Menschenrechte für alle Kulturen gültig. Als Beispiel führte der Dogmatiker die Bilder folternder US-Soldaten im Irak und die Enthauptungsvideos von Geiselopfern in der Hand fanatischer Islamisten an. Einen neuen Ansatz brachte die Schweizer Theologin Ina Praetorius in die Debatte ein: Sie referierte über die �Würde der Geborenen�. Praetorius geht von der �Geburtlichkeit� des Menschen aus und bindet die Menschenwürde an das Geboren-Sein. Daraus folgerte sie: �Wenn Menschen andere respektieren aufgrund der Tatsache, dass sie geboren sind, achten sie gleichzeitig deren reale Verletzlichkeit, Andersheit und bezogene Freiheit.�
Bewusstseinsfalle. Würde komme Menschen nicht zu, weil sie sichtbar sei � nach dem Motto �Je mehr Ansehen, desto mehr Würde�. � Sie sei auch kein Ergebnis von Bewusstseinsarbeit, strich Ethiker Dietmar Mieth hervor: �Würde ist mit bloßer Existenz begründet. Der Mensch ist Würdenträger, weil er an der Würde der Menschheit teilhat.� Aus christlicher Sicht weiter gedacht bedeutet dies: �Jede Verletzung der Menschenwürde ist eine Verletzung Gottes�, so Mieth. Heiner Bielefeldt, der Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, forderte in seinem Vortrag eine aktive Rolle des Staates bei der Sicherung von Menschenrechten: �Ein Staat, der den Menschenrechten verpflichtet ist, kann sich nicht darauf beschränken, religiöse und weltanschauliche Freiheit lediglich zuzulassen.� Oberin Prof. Christine Gleixner wandte sich in ihrem Schlusswort mit einem Aufruf an die Zuhörer/innen: �Das Ringen um Menschenwürde darf nicht nur anderen zugewiesen werden, sondern soll als Verpflichtung für jeden von uns als lebenslange Aufgabe verstanden werden.� Mit heftigem Schluss-Applaus, der wohl auch Zustimmung zu Gleixners Worten ausdrückte, verabschiedete sich das Publikum aus dem Kaisersaal. Der abschließende ökumenische Gottesdienst in der Stiftskirche bildete den feierlichen Schlusspunkt der Sommerakademie.
Zur Sache
- Judentum und Menschenrechte. Das frühe Judentum leitete von der Würde Gottes die Würde der Menschen ab, betonte der Erziehungswissenschafter Dr. Micha Brumlik. So hat es etwa der Prophet Amos verboten, die landwirtschaftlichen Strukturen der Feinde zu zerstören oder die Bevölkerung zu versklaven. Alles, was zum Leben notwendig war, sollte geschützt werden. �Wer Blut vergießt, zerstört das Ansehen Gottes�, hat Hillel der Ältere formuliert.
- Islam und Menschenwürde. Auf die unterschiedlichen Lesearten muslimischer Gläubigkeit hat Prof. Dr. Fuad Kandil hingewiesen. Dem fundamentalistischen Islam, für den die strikte Einhaltung der Gebote oberste Priorität hat, steht ein viel breiterer �Volksislam� gegenüber, für den das Vertrauen in Gott und das Hoffen auf seine Barmherzigkeit besonders wichtig sei. Das �Herz� � gemeint ist das Gewissen � steht dabei im Vordergrund.
-Täter und Opfer. �Krieg verwandelt gute Menschen in Übeltäter.� Dass Menschen gut sind, ist nicht in ihren Genen angelegt, macht der Salzburger Dogmatiker Hans Joachim Sander aufmerksam. �Die Täter der Angriffe auf die Menschenwürde etablieren eine Politik, die sich nur mehr von der Macht definiert und der Gewalt billigend Raum gibt�, meinte er.
-Aus Erfahrung. Die Gleichnisse Jesu weiter zu erzählen sei ein wichtiger Dienst der Kirchen, um wertbildend für die Gesellschaft zu werden, meint der evangelische Theologe Wolfgang Vögele. Menschenrechte seien aus bitteren Erfahrungen definiert worden, sie seien nicht das Produkt theoretischer Überlegungen.
-Die Sommerakademie fand heuer zum 8. Mal statt. Nähere Infos & Vorträge in Kurzform finden Sie unter: http://religion.orf.at. Die Sommerakademie 2007 trägt den Titel �Um Gottes willen� (11.�13.7.)
Kommentar
Wir Würdenträger
ELISABETH LEITNER
Mediale Präsenz durch den Mitveranstalter ORF Oberösterreich, kirchliche und weltliche Prominenz wie sie nur bei Großveranstaltungen üblich ist: das bot die ökumenische Sommerakademie im Stift Kremsmünster. Dass nicht nur Wellness und Lifestyle beim Publikum punkten, freut nicht nur die Veranstaltergemeinschaft. An die 450 Interessierte aus ganz Österreich stellten sich drei Tage lang dem Thema �Von Gott verlassen�. Fast durchgehend mit dabei waren kirchliche Würdenträger wie Bischof Ludwig Schwarz, Generalvikar Severin Lederhilger, Superintendent Gerold Lehner, Bischof Herwig Sturm und Metropolit Erzbischof Michael Staikos. Apropos Würdenträger. Würdenträger sind wir alle � zumindest, wenn es um die Menschenrechte geht. �Der Mensch ist Würdenträger, weil er an der Würde der Menschheit teilhat�, erklärte etwa Dietmar Mieth, Professor für theologische Ethik. Je mehr Ansehen, umso mehr Würde? � dem erteilte Mieth eine Absage. Die Kirche setzt mit Theologie seit Jahrhunderten auf etwas, das sich manche Firmen heute gerne von außen zukaufen: Unternehmensberatung und Systemkritik. Kritik von außen schärft den Blick nochmals. Als �Schizophrenie� bezeichnete etwa Heribert Köck, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Kepler-Uni, den Umgang der Kirche mit Menschenrechten: einerseits werden sie von der Kirche als unabdingbar eingefordert, andererseits übe sie bei der konkreten Ausformung � z. B. die innere Verfassung � starke Zurückhaltung. Dass die katholische Kirche in puncto Menschenrechten bei Kenntnis der Lage nicht immer gut ausstieg, verwundert nicht. Dass es im Stift Kremsmünster zur Sprache kam, überraschte.