Reihe: Das Leben zur Zeit Jesu (8) – Aspekte der gesellschaftlichen Stellung der Frau
Ausgabe: 2006/34, Fleckenstein, Ideal, Wirklichkeit, Frau, Frauen, Jesu, Reihe
23.08.2006
- Kirchenzeitung der Diözese Linz
Beide, Mann und Frau, sind nach Gottes Ebenbild geschaffen und einander gleichwertig. An dieser Aussage muss sich jede gesellschaftliche Wirklichkeit messen lassen.
KARL-HEINZ FLECKENSTEIN
Wie die Bibel ausdrücklich betont, sind Mann und Frau in ihrer Verschiedenheit der Geschlechter zum Bild Gottes, zur Du-Ich-Beziehung mit ihm und füreinander geschaffen. Beide empfangen von Gott den Auftrag, zu herrschen und zu ordnen, sich zu vermehren. Die Frau wird zu Mutter aller Lebenden (Gen 3, 20). Sie ist ihrem Gefährten jene „Hilfe“, die ihm entspricht. Der Mann ist ihr zwar vorgeordnet, aber nicht übergeordnet. Jeder empfängt sich vom anderen aus Gottes Hand. Trotzdem nimmt die Frau im täglichen Leben eine mehr untergeordnete Position ein. Die Konsequenz davon erfährt das Mädchen in einer weniger qualitativen Erziehung. In der Tat beschränkt sich seine Ausbildung auf das Erlernen häuslicher und handwerklicher Geschicklichkeiten wie Sticken, Spinnen oder Weben. Außerdem hat sie auf ihre jüngeren Geschwister aufzupassen. Gegenüber ihrem Vater kommen ihr die Pflichten einer Dienerin zu: sie muss ihm das Essen und Trinken reichen, ihn stützen, wenn er alt geworden ist, sein Gesicht, seine Hände und Füße waschen, ihn beim Zubettgehen zudecken.
Alltagsleben
Im praktischen Alltag steht die Frau am Rande der Gesellschaft, ja sie ist ausgeschlossen vom öffentlichen Leben. Männer würden niemals gemeinsam mit ihr ein Mahl einnehmen. So bleibt auch Sara im Zelt, während Abraham seinen Gästen Butter, Milch und das von seiner Frau zubereitet Mastkalb vorsetzt (Gen 18, 9. Wir verstehen, warum die Jünger geradezu überrascht reagieren, als sie Jesus mit der Samariterin am Jakobsbrunnen sprechen sehen (Joh 4, 27). Die Frau hat kein Erbrecht, weder von Seiten ihres Mannes noch von Seiten ihres Vaters. Nach dem mosaischen Gesetz wird das Eigentum eines Mannes nach seinem Tod unter die Söhne verteilt, wobei der älteste Sohn doppelt so viel erhält wie die jüngeren Brüder (Deut 21, 15–17).
Trotz alledem erweist sich die gesellschaftliche Position der Frau als nicht so tragisch, wie es auf den ersten Blick scheinen möchte. Zum Beispiel schulden die Kinder der Mutter vollkommenen Gehorsam (Lev 19, 3). Natürlich hat die Frau das Recht auf Wohngemeinschaft mit ihrem Mann, ebenso auf Unterhalt und Schutz. Immer kann sie ihre Familie und den Klan, aus dem sie kommt, um Garantie dieser fundamentalen Rechte ersuchen.
Glaubensleben
In Glaubensangelegenheiten sind die Frauen den Männern nicht ganz gleichgestellt. Sie müssen sich im Hintergrund des Tempels von Jerusalem aufhalten. Das religiöse Leben einer jüdischen Frau spielt sich mehr im Verborgenen ab. Zwar ist sie grundsätzlich auf das Gesetz verpflichtet, anderseits aber von all jenen Geboten dispensiert, die an bestimmten Stunden zu verrichten sind, um für den Haushalt und die Familie zeitlich ungebunden da sein zu können. Das gilt auch für das Studium der Thora. Ihre Mutterpflichten haben immer Vorrang, vor allem, wenn es um das Stillen der Kinder geht. Ihr besonderes Vorrecht aber besteht darin, sich um das kostbare Öl für die Sabbatlampe zu kümmern. Sie wacht sorgfältig darüber dass diese Leuchte an dem heiligen Ruhetag nie erlischt. Indem sie die Lampe anzündet, empfängt sie die „Braut Shabbat“ mit einem Hymnus und übt dabei eine Art priesterliche Funktion aus.
Frauen und Bildung
Gelehrte Frauen bilden die Ausnahme. Aber es gibt sie. Nicht nur Frauen der höheren Stände verfügen über Bildung, auch manch einfaches Mädchen, wie Maria von Nazaret, hat lesen und schreiben gelernt, verrät doch ihr Magnifikat eine gute Kenntnis der Schriften des Alten Testaments. Es klingt wie ein Loblied auf die alles überwindende Macht Gottes. Darin besingt Maria den tiefgreifenden Umsturz ungerechter Verhältnisse und bezeugt, dass sich Gott immer auf Seiten der Niedrigen stellt und letztlich doch den Sieg über die Mächtigen und Stolzen dieser Welt davonträgt.
Lob der Frau
Gerade die geistlichen Führer in Israel sind es, die sich für die Achtung und Gleichwertigkeit der Frau einsetzen, da sie ja, wie Adam sagt, „Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch“ ist (Gen 2, 23). Sie werden nicht müde, ihre Klugheit, Frömmigkeit und all die Vorzüge zu preisen, die einen weitaus höheren Stellenwert einnehmen als alle äußere Schönheit. „Wer eine Frau gefunden hat, hat Glück gefunden und das Gefallen des Herrn erlangt“ , sagt das Buch der Sprüche. „Haus und Habe sind das Erbe der Väter, doch eine verständige Frau kommt vom Herrn“ (Spr 18, 22; 19, 14).