Ausgabe: 2007/06, Religion, Politik Gesellschaft, Kirche, Höhn
07.02.2007 - Josef Wallner
Die Religion ist zurückgekehrt – in Politik, Gesellschaft und in das persönliche Leben von Menschen. Doch mit der Rückkehr ist keine Heimkehr in die Kirche verbunden. – Der Kölner Theologe und Religionsphilosoph Hans-Joachim Höhn über die Herausforderungen und Chancen, die die neue Religiosität für die Kirche mit sich bringt.
Allen Vorhersagen zum Trotz ist die Religion in der modernen Gesellschaft nicht „verdunstet“, sondern im Gegenteil: Die Religion ist zurückgekehrt. Warum? Hans-Joachim Höhn: Religion gehört untrennbar zum Menschsein dazu, ist eine Grunddimension menschlicher Existenz. Das Leben stellt uns vor Situationen, in denen sich Fragen nach dem Warum, dem Grund des Daseins und nach dem Wohin unausweichlich aufdrängen.
Doch die Kirchen füllt diese Sehnsucht nach Religion nicht ... Höhn: Dieser Trend erfüllt vor allem die – ausgesprochene oder unausgesprochene – Erwartung der Kirche nicht, dass die Menschen dauerhaft und stetig am kirchlichen Leben teilnehmen. Aber es gibt durchaus Jahreszeiten wie Weihnachten, in denen die Kirchen voll sind, und an den Knotenpunkten des Lebens suchen die Menschen ebenfalls den Kontakt zur Kirche. Doch im Allgemeinen kehrt die neue Religiosität in anderen Formaten als in den kirchlichen wieder, sie ist jenseits von Dogma und Moral angesiedelt.
In welchen Erfahrungsweisen? Höhn: Der stärkste Trend ist die Suche nach dem Sinnlichen, nach dem Atmosphärischen, nach Ästhetik. Die Menschen möchten durch die Sinne Sinn erfahren oder umgekehrt: Ein sinnenloses Christentum ist für sie sinnlos.
In diesem Zusammenhang ist sicher die große Nachfrage nach musikalisch, sprachlich-ästhetisch – gestalteten Gottesdiensten zu verstehen. Traditionalistische Kreise erkennen darin den Ruf nach einem anderen Ritus – nach der sogenannten „tridentinischen Messe“. Höhn: Ich sehe darin keine Nachfrage nach der „tridentinischen Messe“. Von den traditionalistischen Kreisen wird die ästhetische Suche der Menschen heute geschickt ausgenutzt, vereinnahmt und mit eigenen Interessen vermischt. Was Menschen heute an Ästhetik suchen, findet sich durchaus in der Liturgie, wie sie im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils erneuert wurde.
Können Sie genauer erläutern, was die Kirche für suchende Menschen anziehend macht? Höhn: Ich beginne mit dem, was sie nicht wollen: Sie wollen keiner Gemeinschaft beitreten, deren Erwartungen sie entsprechen sollen. Pointiert gesagt: Die Menschen haben Sehnsucht nach Religion, die Kirche hat Sehnsucht nach sich selbst. Die Leuten schätzen die Riten der Kirche: Sie möchten sich aus dem Riten-Reservoir zusagen lassen, was ihnen hilft – hilft, Sinnkrisen und Reifungskrisen zu bestehen. Es steht das ichbezogene und therapeutische Element von Religion im Vordergrund, das zur Identitätsfindung beiträgt. Religion wird in der ersten Person Singular gelebt, es geht um die Hilfe für mein Ich.
Neben der Ästhetik ist die Gesundheit ein Feld, das häufig in Verbindung mit Religion steht. Als Stichwort sei die Hildegard-Medizin genannt. Ist das nicht Ausverkauf der Religion? Höhn: Man muss deutlich sagen: Man hat von Hildegard von Bingen nichts verstanden, wenn man bloß nach ihren Rezepten kocht und sich nicht auch mit ihren Quellen – der Schöpfungstheologie – beschäftigt. Aber es lohnt sich, die Menschen bei ihrem Interesse für Hildegard abzuholen und sie neugierig auf ihre Quellen zu machen.
Was steht einer festen Kirchen-Bindung entgegen? Höhn: Menschen suchen von sich aus die Nähe zur Kirche, wenn sie in ihrem Leben auf Situationen stoßen, in denen sie diese Nähe als hilfreich empfinden. Ändern sich diese Situationen, gehen sie wieder auf Distanz.
Soll die Kirche diese Kundenwünsche so einfach befriedigen – als Dienstleisterin? Höhn: Das Eingehen auf die Sehnsüchte der Menschen gehört zum diakonischen Grundauftrag der Kirche. Wir müssen Räume eröffnen, in denen Menschen eine Resonanz für ihre Sehnsüchte, Sorgen und Hoffnungen finden. Es geht hier um niederschwellige Angebote, wie zum Beispiel um die Segnung von Paaren am Valentinstag, oder um die Passantenpastoral in Großstädten. Diese Zuwendung der Kirche muss aber absichtslos bleiben und darf nicht zu einem Lasso werden.
Werten Sie mit Ihren Überlegungen nicht die Pfarrpastoral ab? Höhn: Nein, ich möchte die niederschwelligen Angebote nicht gegen die Gemeindepastoral ausspielen. Ich plädiere aber dafür, dass Kirche weitere Formen der Antreffbarkeit von Religion entwickelt und praktiziert – nicht nur in der Gemeinde. Kirche soll neue Stile und neue Orte der Zeitgenossenschaft mit den Menschen anbieten.