Die Menschen sind die Aufgabe der Kirche, auch wenn sie ihr nicht angehören. In den Regionen des ehemaligen Ostdeutschland entdeckte die Kirche ihre Aufgabe neu.
Ausgabe: 2016/36
06.09.2016 - Matthäus Fellinger
Es wird noch gehämmert, geschliffen und geputzt. Am 2. Oktober muss alles fertig sein. Die für das Reformationsjubiläum 2017 frisch sanierte Schlosskirche zu Wittenberg wird dann neu eröffnet. Bei der Ökumenischen Reise der KirchenZeitung und des Evangelischen Bildungswerkes Ende August konnte man das Tor in die Kirche bereits durchschreiten. Am 31. Oktober 1517 hat Martin Luther hier seine 95 Thesen zur Erneuerung der Kirche angeschlagen – und damit eine neue Epoche eröffnete.
Fünf Jahrhunderte liegen zurück. Glaubenskriege, zwei Weltkriege, Jahrzehnte der kommunistischen Herrschaft sind vorübergezogen. Die Hauptorte der Reformation liegen im Gebiet der ehemaligen DDR, aber auch die Stätten der Hochkultur, an denen Goethe und Schiller, Bach und Mendelssohn Bartholdy wirkten. Die Wartburg, auf der Luther das Neue Testament ins Deutsche übersetzt und die hl. Elisabeth von Thüringen für die Armen gewirkt hat, liegt hier, und Eisleben, wo Luther geboren wurde.
„Bei uns in Eisleben machen wir sehr viel ökumenisch gemeinsam“, erzählt die Führerin in der erst 2012 neu gestalteten Taufkirche Martin Luthers, der St.-Petri-Pauli-Kirche. Die Kirchen sind klein geworden. Rund vier Prozent der Bevölkerung ist katholisch, 12 bis 16 Prozent sind evangelisch. 80 Prozent leben ohne religiöses Bekenntnis. Seit in Eisleben vor 22 Jahren der Kupfer- und Silberbergbau geschlossen wurde, ist die Arbeitslosigkeit zum drängenden Problem der Region geworden. Die riesigen Abraumhalden zeugen noch von der wirtschaftlichen Blüte.
„Die Situation der kleine Zahl ist mir nicht fremd – wir waren nie eine riesige Schar“, erzählt auch Bruder Petrus Henke. Seit 1989 ist der Benediktiner Pfarrer in Huysburg. Das Bistum Magdeburg führt hier mit den Benediktinern ein Bildungs- und Gästehaus. Der kommunistische Staat, erzählt Bruder Petrus, hat die Christen schlicht und einfach nicht vorgesehen. Zwar sind die Christen auch heute eine kleine Zahl hier, aber bei den Abgeordneten und der Regierung von Sachsen-Anhalt machen sie dennoch rund 50 Prozent aus, erzählt er. Die meisten der rund 90.000 Katholik/innen des Bistums Magdeburg sind Zugewanderte, etwa aus dem Sudetenland. Um die Seelsorge bewältigen zu können, wurden die ursprünglich 180 auf 44 Pfarren zusammengelegt. Laien werden intensiver einbezogen. „VOLK“ heißt die Formel – für „Vor Ort lebt Kirche“. Inspiriert von Erfahrungen anderer Bistümer, auch aus Linz, versucht das Bistum eine neue Struktur der Nähe zu schaffen, indem Menschen vor Ort Verantwortung dafür übernehmen, dass Kirche in ihren Grunddiensten lebendig bleibt. Noch haben die 43 Pfarren einen Priester, in einer Pfarre gibt es ein Seelsorgeteam. Der Prozess, dass die Pfarren wirklich neu zusammengefunden haben, war schwierig, räumt P. Petrus ein. Die Pfarren haben es nicht einfach hier. P. Petrus erzählt von einer Pfarre mit 1200 Einwohnern, in der in einem Jahr ein einziges Kind auf die Welt kam. „Wir wollen Menschen etwas geben, die nicht zu uns gehören“, beschreibt P. Petrus das Selbstverständnis seiner Ordensgemeinschaft – und das musste die Kirche nach der Wende erst neu lernen.