Mariazell – das ist kein Wallfahrtsort der „Sensationen“. Und dennoch erfahren hier viele Menschen in besonderer Weise die Kraft und Gnade des Glaubens auf ihrem Pilgerweg. Deshalb brechen sie immer wieder nach Mariazell auf.
Seit 850 Jahren wird in Mariazell das Evangelium verkündet, und die Menschen nehmen dieses gute Wort mit hinein in den Pilgerweg ihres Lebens. Seit Jahrhunderten wird hier täglich mehrmals die hl. Messe gefeiert. Und die Wallfahrer erahnen und vertrauen, dass die Einheit mit Christus im eucharistischen Brot ihr Leben verwandeln und ihm Gestalt geben kann. Hier wird geweint und gelacht, Tränen der Hoffnung, der Sehnsucht und der Bedrückung lassen erahnen, dass die Menschen einfach erfahren dürfen: Hier sind alle ganz nahe bei Maria, bei ihrem Sohn Jesus Christus, beim allmächtigen und barmherzigen Vater; hier bist du angenommen ohne Wenn und Aber! Das ist auch das eigentliche Wunder eines Gnadenortes, wo die Menschen offen sind für die göttliche Transzendenz und spüren, dass Himmel und Erde einander berühren.
Der Weg des Pilgerns. Diese Erfahrung kann nicht erkauft und inszeniert werden. Sie ist meist Frucht eines langen Weges, einer Zeit der Vorbereitung und der Reduktion auf das Wesentliche, eines Zurücklassens der kleinen Sorgen des Alltags und eines Sich-Öffnens auf Gott hin. Gerade das geschieht, wenn Menschen pilgern, gleichsam „mit den Füßen beten“ und mit jedem Schritt mehr die Normalität verlassen und einschwingen in den Rhythmus des Gebets. Und Mariazell ist ein Ort, der – aufgrund der Abgelegenheit in den Bergen und der Schönheit der ihn umgebenden Schöpfung – gerade heute wieder von sehr vielen Fuß- und Radwallfahrern aufgesucht wird. Viele von ihnen kommen seit ihrer Jugend- und Studentenzeit immer wieder.
Ort der Versöhnung. Das stille und zugleich große Wunder von Mariazell ist die Versöhnung. Zuerst die Versöhnung mit Gott: Sehr viele Menschen empfangen hier das Bußsakrament. Damit gestehen sie ein, dass das Leben nicht nur mit Machbarkeit, Tüchtigkeit, mit Organisationstalent und mit Verdienst definiert werden kann, sondern es muss von Gott her gesehen und auf ihn hin entworfen und verwirklicht werden. Dieser Gott wirft nicht mit Steinen; er lädt uns vielmehr ein, dass wir uns seine Barmherzigkeit schenken lassen. Und mutet (macht Mut) uns immer wieder einen Neubeginn zu. Dass Mariazell immer noch der „Beichtstuhl Österreichs“ ist, bedeutet gerade heute bei all den komplexen Lebensentwürfen der Menschen, mit dieser Verantwortung behutsam umzugehen.
Brücke über Gräben. 1952 wurde hier „nebenbei“ jene Neuorientierung im Staat-Kirche-Verhältnis in die Wege geleitet, die der Ausgangspunkt war für das bewusste Zugehen von Kardinal Franz König auf die Arbeiterbewegung. Diese historische Aussöhnung ist bis heute mit dem Begriff „Mariazeller Manifest“ verbunden. 1983, beim Besuch von Papst Johannes Paul II., konnten nur wenige Pilger aus den seit Jahrhunderten mit Mariazell verbundenen ehemaligen Ostblockländern über die trennenden und menschenverachtenden Mauern kommen. 1990 waren es mehr als 20.000, die nach Jahrzehnten der Unterbrechung wieder nach Mariazell kommen durften und mit Tränen in den Augen Dank sagen konnten. Und 2004, bei der „Wallfahrt der Völker“, waren es an die 100.000. Wer mit Gott versöhnt ist, muss die versöhnungsstiftende Aufgabe auch in der Gesellschaft umsetzen. So wird die Kirche auch morgen Salz und Licht in unserer Gesellschaft sein – gerade in einer Gesellschaft, die oft meint, man könne beliebig mit Gott umgehen.
Tut, was er euch sagt. Hier in Mariazell hat sich im Laufe der Jahre viel verändert. Zur Ehre Gottes und als Ausdruck ihrer Kreativität und der Sehnsucht nach dem Schönen haben Künstler, Baumeister und Architekten viel geschaffen. Dank der Hilfe vieler wurde dieses Gotteshaus zur Freude der Menschen in den letzten fünfzehn Jahren umfassend restauriert. Es erstrahlt im neuen Glanz. Aber immer kommt der pilgernde Mensch zuerst an bei dieser unscheinbaren Frau, bei Maria, die hier in Mariazell deutlich auf Jesus Christus hinweist, auf ihn, der das Fundament und das Ziel unserer Wege ist. Diese Gnadenstatue ist so klein, dass sie eigentlich übersehen werden könnte. Man wird hier auch vergeblich nach spektakulären Wunderereignissen suchen, und doch geschieht hier tagtäglich und nahezu unspektakulär das eigentliche Wunder des Glaubens, wenn Maria uns ermutigt: „Was er euch sagt, das tut!“
Am 13. August wurde von Kardinal Schönborn in der Ägidiuskapelle der Basilika von Mariazell ein „Ort der Erinnerung an Kardinal Franz König“ gesegnet. König hatte sein ganzes Leben lang eine besonders innige Beziehung zu Mariazell.