Zwei neue Werke stellt Maria Fellinger-Hauer in der Literaturserie vor: Daniel Kehlmanns „Tyll“ und „Die Königin schweigt“ von Laura Freudenthaler.
Ausgabe: 2017/49
05.12.2017
- Maria Fellinger-Hauer
Ein zwielichtiger Held
Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648), der halb Europa entvölkert und ganze Landstriche verwüstet hat, bildet den historischen Hintergrund in Daniel Kehlmanns neuem Roman „Tyll“. Der Titelheld ist an die Gestalt des Till Eulenspiegel angelehnt. Der Autor siedelt ihn gute 200 Jahre nach der Lebenszeit des historischen Vorbilds an. Als ein zwielichtiger Held, der über die Menschen lacht, durchstreift er mit seiner Begleiterin Nele und einem Gaukler die europäischen Länder. Das Europa, in dem die Aufklärung noch nicht Fuß gefasst hat, sondern magisches Denken und Aberglaube die Köpfe der Menschen beherrschen. Sie glauben an böse Mächte, an „Die Kalte“ im Wald, der man nicht zu nahe kommen darf, an die Zauberkraft des „magischen Quadrats“ und an die Wirkung von Drachenblut. Gott, ob nun katholisch oder evangelisch gedacht, ist in der Zeit des großen Glaubenskrieges eher am Rande beteiligt. Die Inquisition ist überall. „In Christi Namen, macht auf“, bitten die zwei Wanderer, als sie an die Tür eines grüblerischen Müllers klopfen. Sie waren gekommen, weil ein Müller, der Bücher besitzt, ihren Verdacht erregt. Sie nehmen ihn mit. Am Ende steht dem armen Müller sein eigener Henker näher als sonst jemand. Der Krieg, wenn auch als Religionskrieg begonnen, wird bald zu einem allgemeinen Machtkampf. Wie grausam in diesen dunklen Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts verfolgt, gemartert und getötet wurde, beschreibt das gut 470 Seiten starke Werk höchst eindrucksvoll. Aktuelle Anknüpfungspunkte muss der Leser/die Leserin nicht suchen, sie liegen auf der Hand. Daniel Kehlmann, Tyll, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2017, 473 S., ISBN 9783498035679.
Porträt einer Generation
Fanny, die titelgebende „Königin“ in Laura Freudenthalers Roman, ist alt und lebt allein. Der Bitte ihrer Enkelin, ihr Leben aufzuschreiben, kommt sie nicht nach. Sie will die Toten ruhen lassen, doch die Toten lassen das nicht zu. Episodenhaft tauchen die Erinnerungen auf. Fanny, in den 1930er Jahren geboren, wächst auf einem Bauernhof auf. Als einziges Mädchen darf sie eine weiterführende Schule besuchen. Sie heiratet den Lehrer, bekommt einen Sohn. Der elterliche Hof muss nach dem Tod des Vaters verkauft werden, da der Bruder im Krieg gefallen ist und der Lehrer sich nicht zum Bauern eignet. Nach dem Tod des Ehemannes zieht Fanny in die Stadt. Erst in die große, dann in eine kleine. Kurz vor ihrem Tod kehrt sie noch einmal in ihr Heimatdorf zurück. Konventionell klassisch erzählt, einfühlsam und kenntnisreich gibt die junge Salzburger Autorin Einblick in ein Frauenleben, das geradezu exemplarisch für eine ganze Frauengeneration steht. „Freudenthaler zeichnet das eindringliche Porträt einer Generation, die ein scheinbar unspektakuläres Dasein führte, in dem sich aber tatsächlich die große Geschichte verbirgt“, meint die Jury des Bremer Literaturpreises 2018, dessen Förderpreis Laura Freudenthaler für diesen Roman kürzlich zuerkannt wurde. Laura Freudenthaler, Die Königin schweigt, Droschl, Graz 2017, 206 S., ISBN 9783990590010